Vor dem einzigen Fahrkartenschalter eine lange Schlange – am Automaten kein Mensch. Also gut, dann probiere mein Glück. Zwei Minuten später bin ich der Verzweiflung nahe: ich weiß zwar, wo ich hin will, habe aber vergessen, wie man es schreibt. Und die dämliche Landkarten-App auf dem Handy nennt mir penetrant die deutsche Schreibweise, unter welcher der Ort bis 1945 bekannt war. Ganz dünnes Eis!
Ich lasse einer jungen Frau den Vortritt und stelle nicht ohne Genugtuung fest, dass sie – obwohl Einheimische – ebenso ihre Probleme hat mit diesem Automat.
Aber dann hab ich’s kapiert. Man muss nur wissen, dass auf der polnischen Tastatur das einfache „E“ und das „E-mit-Kringel-drunter“ zwei verschiedene Buchstaben sind. Endlich spuckt der Automat das Ticket aus und eine Viertelstunde später kommt der Zug.
Die Fahrt dauert nicht lang: zunächst durch Industrie- und Hafenanlagen, am Güterbahnhof vorbei, dann ein Stück durch weite Kiefernwälder und dann bin ich auch schon da: willkommen in Międzyzdroje, oder Miesdroy, wobei die Aussprache in beiden Sprachen fast identisch ist.
Der Bahnhof ist angenehm altmodisch – Bahnsteigdach mit Holzbalken, kein Fahrkartenautomat, aber eine echte Gepäckaufbewahrung. Auch die Stadt wirkt auf den ersten Blick angenehm entspannt. Sympathische Altbauten in klassischer Bäder-Architektur, oft unrenoviert, zum Teil sogar mit Holzbalkonen. Dazwischen Neubauten, und je mehr man sich dem Strand nähert, desto mehr Baustellen, wo Hotelhochhäuser hochgezogen werden. „Nice-Ville“ heißt Eines davon und das steht wohl für den Anspruch, den man hier gerne vertreten möchte. Aber eigentlich geht es – zum Glück – noch bodenständiger zu. Zwischen den Baustellen finden sich jede Menge Räucherfisch-Buden und Kneipen in einfachen Bretterverschlägen.
An der Strandpromenade gibt es an jeder Ecke Waffeln oder Eis, dazwischen Souvenirbuden und Automatenspielhallen, Cafés, Kneipen und Restaurants aller Art. Es gibt eine Seebrücke, jede Menge Strand und einen Dünengürtel, in der Ortsmitte nur schmal und nach Westen hin immer breiter werdend.
Gleich am östlichen Rand des Dorfes beginnt der Nationalpark. Am Strand kann man kilometerweit spazieren ohne einem Menschen zu begegnen. Eine Holztreppenkonstruktion führt in die Dünenberge, die hier über hundert Meter hoch und von dichten Kiefernwäldern bedeckt sind. Von einem Aussichtspunkt hat man einen weiten Blick über das Meer und die Stadt, und wenn man möchte, kann man durch die Wälder zu alten Bunkeranlagen aus Weltkriegszeiten wandern.