Bahnhof Gura Humorului im Regen

Von Iasi nach Gura Humorolui

Jetzt will ich mir diese Stadt noch einmal bei Tageslicht anschauen: der zentrale Platz, die Piata Uniri ist jetzt am Sonntagmorgen fast menschenleer, auf dem Bulevardul Ștefan cel Mare și Sfînt („Stefan der Große und Heilige“) sind einige Geschäfte geöffnet, außerdem gibt’s Marktstände, Cafés und Flaneure. Ich schaue mir die Kirchen an: die Metropol-Kirche und die alte Kirche daneben, beide von innen komplett mit Fresken bemalt. Etwas ungewohnt ist die Tatsache, dass es in orthodoxen Kirchen keine Bänke gibt, stattdessen im Eingangsbereich oft eine Art Kiosk, an dem man Kerzen, Heiligenbilder und Bibeln kaufen kann.
Die Kirche „der drei Hierarchien“ ist berühmt für die geometrischen Reliefs an ihrer Außenseite. Drinnen beten Gläubige vor heiligen Ikonen, bekreuzigen sich vielfach, berühren mit der Hand den Boden oder knien nieder und berühren die Ikone mit den Lippen.
In der katholischen Kirche nebenan ist alles für eine Hochzeit hergerichtet und in der alten Kirche Sfântul Nicolae Domnesc findet gerade ein Gottesdienst statt. Ich gehe weiter am Kulturpalast vorbei zu dem kleinen Park dahinter, setze mich auf eine schattige Bank und lasse mich von Lounge-Musik aus versteckten Lautsprechern berieseln.
Es gibt noch viel mehr zu sehen in dieser Stadt, die Universität, eine Synagoge und ein Viertel mit engen alten Gassen, aber all das muss jetzt warten, wohl bis zum nächsten Besuch.
Nach einer Pause in einem Straßencafé mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Mein Versuch, noch ein Ticket für den Nachtzug nach Budapest zu ergattern, scheitert an mangelnden Sprachkenntnissen – vor allem aber daran, dass man für solche komplexen Aktionen mehr als zwanzig Minuten veranschlagen muss.
Ich hechte zum Bahnsteig, der liegt etwas außerhalb, am nördlichen Teil des Bahnhofs, das muss man erstmal wissen! Jedenfalls steht da ein Zug, vor dem letzten Wagon steht ein Mann und raucht. Welche Wagonnummer habe ich? Ein Pärchen verabschiedet sich in inniger Umarmung. Ich muss zu Wagon Nr. 4, ein Abteilwagen im Interregio-Design, und ich bin wieder mal komplett nassgeschwitzt und hoffe, dass der Inhalt meiner Wasserflasche noch reicht für die Fahrt.
Pünktlich geht es los. Der Himmel ist strahlend blau, draußen ist es hochsommerlich heiß, drinnen auch trotz Klimaanlage und gemächlich geht es durch Sonnenblumenfelder, einmal an einem Staussee vorbei, ansonsten durch eher unspektakuläre flache bis leicht-wellige Landschaft.
Von Westen her ziehen dunkle Wolken auf, es ist jetzt gar nicht mehr so stickig, irgendwo lassen sich die Fenster öffnen, der kühle Luftzug ist angenehm. Mein Gegenüber spricht mich auf rumänisch an und redet ungestört weiter, obwohl ich ihm klarmache, dass ich kein Wort verstehe: Will er mir sagen, dass der Zug nicht weiterfährt als Suceava? Oder will er nur sagen, dass er dort aussteigt?
In Suceava haben wir zehn Minuten Verspätung, hier ist eine Viertelstunde Aufenthalt eingeplant, aber die Lokomotive wird nicht gewechselt. Nicht nur die Raucher steigen aus, so ziemlich jeder nutzt die Zeit, sich die Beine zu vertreten oder sich am Kiosk mit Getränken zu versorgen.
Die Wolken sind jetzt richtig dunkel geworden, in der Ferne zucken Blitze und es ist immer noch schwülheiß. Der Zug bleibt eine ganze Weile lang stehen, niemand macht Anstalten, einzusteigen. Ein Nahverkehrszug kommt und fährt weiter, und dann taucht ein verspäteter Zug aus Bukarest auf. Aha, auf den haben wir gewartet! Anschlussreisende steigen um, es geht weiter.
Inzwischen hat ein junger Mann in meinem Abteil Platz genommen, er spricht mich erst auf rumänisch an, dann auf deutsch: er lebt seit sechs Jahren in Deutschland, hat sich die Sprache selbst beigebracht und wird in den nächsten Tagen von Timisoara aus mit dem Auto nach Deutschland fahren.
Unsere Handys tröten: Warnmeldung vor heftigen Gewittern. Und dann bricht es auch schon los, mit Donner, Blitz und Wolkenbruchregen und wegen des Regens gibt’s gleich noch eine zweite Warnmeldung.
Als wir eine Dreiviertelstunde später in Gura Humorului ankommen, regnet es immer noch. Ich wuchte meinen Koffer über die Gleise zum Bahnsteig und zum Empfangsgebäude. Da gibt’s sogar einen Fahrkartenschalter und der ist sogar besetzt.
Jetzt keinen Fehler machen: in genau achtundvierzig Stunden will ich mit genau diesem Zug über Nacht nach Arad fahren, das ist die sicherste Option, von dort komme ich alle zwei Stunden nach Budapest. Das Ticket bekomme ich, der Schlafwagen sei aber schon ausgebucht.
Jetzt muss ich mein Hotel finden. Es regnet immer noch, sogar ziemlich heftig. Unter dem Vordach steht eine Gruppe Jugendlicher, sie streiten miteinander. Der Regen lässt nach – zumindest glaube ich das oder will es glauben. Ich hechte zur Straße, springe über tiefe Pfützen, auch die Straße steht unter Wasser, Autos hinterlassen eindrucksvolle Spritzwasserfontänen. Ich wechsele die Straßenseite und stehe schon wieder vor einer Pfütze und der Regen wird wieder stärker. Zum Glück stehe ich gerade direkt vor einem Café.
Ich setze mich in den Wintergarten und bestelle einen Cappuccino. Am Nebentisch sitzt eine Frau mit ihrer Tochter. Mein Hotel ist noch geschätzte fünf Minuten Fußweg entfernt, der Bahnhof ebenso weit und der Regen pladdert weiter. Wolkenbruchregen. Gewitterregen. Dauerregen. Es wird schon dämmerig, obwohl es noch gar nicht spät genug dafür ist.
Irgendwann wird der Regen tatsächlich etwas schwächer, jetzt aber los! Ich erreiche die schützende Hotelhalle. Vor dem Rezeptionstresen diskutieren zwei Frauen ziemlich lange, es dauert gefühlte Ewigkeiten, und dann ist auch noch meine Buchung verloren gegangen, aber zum Glück haben sie noch ein Zimmer, sogar ein sehr schönes Zimmer mit Balkon und Blick über die Stadt. In der großen Kirche nebenan läuten die Glocken.
Dann gehe ich nochmal durch den Ort, jetzt nieselt es nur noch leicht, ich finde ein angenehmes Lokal, sie haben geöffnet und ich kriege auch noch etwas zu Essen, während draußen die Blitze zucken und in der Ferne der Donner grollt…

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