Bevor ich weiterfahre, mach noch einen kurzen Spaziergang um die Burg herum, steuere das nächstbeste Café an und ordere einen Cappuccino und ein Cornetto. Die Dame hinterm Tresen erklärt mir geduldig die verschiedenen Sorten. Schokolade, Nougat, Marmelade oder Pistazie? Pistazie!
Ich setze mich nach draußen, mit Blick auf die Burg. Soviel Zeit muss sein. Als sie mir den Kaffee bringt, greife ich zum Portmonee, aber sie schüttelt den Kopf: erst den Cappuccino trinken, solange er noch heiß ist!
Also noch einmal ganz in Ruhe um die Burg herum und dann zum Bahnhof.
Jetzt wird es doch noch hektisch, mein Zug geht in vier Minuten und ich muss noch die Tickets abstempeln, aber der Stempelautomat ist kaputt und der Nächste auch, erst der Übernächste funktioniert, und dann kommt auch schon der Zug: ein langer, brechend voller Doppelstock-Regionalzug.
Viele Leute sind mit Koffern unterwegs und fahren offenbar eine längere Strecke. Inzwischen habe ich kapiert, dass die italienische Bahn den Regionalverkehr auf den Hauptstrecken zugunsten der Hochgeschwindigkeitszüge deutlich zurückgefahren hat: zwischen Florenz und Bologna gibt es zwar mindestens jede halbe Stunde eine Non-Stop-Hochgeschwindigkeitsverbindung, aber außer in den Tagesrandlagen kaum Regionalzüge, und über Mittag fährt sogar mal stundenlang gar nichts.
Wir überqueren den Po, dann kommt erstmal viel flache Landschaft, irgendwann wird auch die Etsch überquert und dann noch ein Fluss, das muss die Brenta sein. In Padua wird länger gehalten, und dann sind wir auch schon ruck-zuck in Venedig-Mestre. Ich könnte auch hier umsteigen, bleibe aber sitzen.
Gemächlich geht es auf dem Damm über die Lagune, linker Hand ist der mit Baken abgesteckte Wasserweg, entlang dessen sich Boote schön brav hintereinander in Richtung Venedig oder zurück einreihen.
Dann stehe ich am Ufer des Canal Grande.
In wenigen Minuten geht ein Zug nach Triest, da könnte ich einsteigen, aber eine Stunde später geht auch noch einer, keine Panik, bei den Regionalzügen gibt’s keine Zugbindung.
Blau schimmerndes Wasser, blauer Himmel. Fröhliches Gewusel, Touristen mit Kameras, Touristen mit Koffern, Kofferträger, und fliegende Händler, die Selfie-Sticks anpreisen, immer auf der Hut vor der hier sicherlich sehr wachsamen Polizei. Schlangen vor der Vaporetto-Station, die Fahrpreise sind wieder erhöht worden, aber noch wird kein Eintrittsgeld für die Stadt an sich erhoben.
An der Haupt-Rennbahn ist ein Restaurant neben dem Anderen, Touristenmenü für 15 Euro inklusive Coperto, anderswo sind vorsichtshalber gar keine Preise angeschlagen.
Hinter der nächsten Ecke ist etwas los: Studenten demonstrieren gegen die Corona-Maßnahmen, die Zuschauer halten alle brav Abstand und die Polizei steht diskret im Hintergrund.
Ich biege um ein paar weitere Ecken, überquere diverse Kanäle und gehe in großem Bogen wieder zum Bahnhof zurück, wo der nächste Zug nach Triest schon wartet.
Das Land ist flach, der Himmel blau mit Wolkenschlieren und im großen Bogen geht es um das nördliche Ende der Adria. Links und rechts der Strecke sind Weinfelder zu sehen. In regelmäßigen Abständen wird die automatische Ansage abgespult, die auf die Corona-Regeln hinweist, auf italienisch und auf englisch, und dann irgendwann mal auch auf deutsch: Eine Zuwiderhandlung hat „das Eingreifen der Ordnungskräfte und die Unterbrechung der Fahrt im ersten nützlichen Bahnhof zur Folge“.
Nächster Halt Cervignano, von hier aus geht es nach Grado. Dann kommt noch ein Fluss. Und im Norden sieht man die Alpen. Oder zumindest eine Bergkette im blauen Dunst, es können auch die Vor-Alpen sein, aber dann sieht man, dass sie schneebedeckt sind.
Wir halten am Flughafen Triest, der hat offenbar einen eigenen Bahnhof. Dann kommt Monfalcone. Ein größerer Ort. Man sieht Hafenkräne. Bald haben wir das Meer wieder erreicht.
Hinter Monfalcone geht es im großen Bogen nach Süden. Die Ebene ist zu Ende, wir überqueren einen Fluss dann geht es in eine grüne, bewaldete Küstengebirgslandschaft, rechts unten liegt jetzt das Meer, man sieht eine dramatische Küstenlinie, dann geht‘s Mal ein stück landeinwärts durch grünes Hügelland, dann wieder balkonartig am Meer entlang. Tolles Landschafskino.
Gegen 4 Uhr komme ich in Triest an. Draußen blauer Himmel. Ich durchquere die großartige Bahnhofshalle au K.u.K.-Zeiten, deren Eindruck allerdings durch Baugerüste getrübt wird, und stehe dann draußen auf dem Bahnhofsplatz.
Mein Hotel ist ein typisches, etwas in die Jahre gekommenes Stadthotel, das Zimmer ist okay und nicht allzu klaustrophobisch.
Ich richte mich ein und breche auf zum ersten Rundgang durch die Stadt. Gleich um die Ecke liegt die Piazza Oberdan, aber die berühmte Straßenbahn funktioniert immer noch nicht. In der Nähe beginnt die Fußgängerzone. Ein großer Teil der Innenstadt ist jetzt zur Fußgängerzone gemacht worden.
Überall sind Restaurant- und Caféterrassen. Die Stadt ist voller Menschen. Ich schlendere durch die Straßen und komme irgendwann zu der eleganten zum Meer hin offenen Piazza de la Unita de Italia und weiter zum Molo Audace, dem auf den ersten Blick unscheinbaren Wahrzeichen der Stadt.
Irgendwo setze ich mich und trinke einen Cappuccino. Herrlich, dass hier so viel los ist! Überall tobt das Leben. Aber noch verstehe ich die Stadt nicht so richtig, auch wenn ich vor 7 Jahren schon einmal hier war, ich muss sie mir neu erschließen, erlaufen und erarbeiten.
Später, als es dunkel ist, suche ich die Viale XX Settembre, einen Boulevard, der sich steil den Hügel hinaufzieht und auch hier tobt das Leben, hier ist das Publikum jünger. Ich setze mich in ein Lokal, trinke einen Aperol Spritz – mit Plastikstrohhalm und esse eine Falafel in der einzigen Kebab-Bude weit und breit.
Überall gibt’s Musik, an mehreren Stellen auch Life-Musik, die ganze Stadt ist eine einzige Open-Air-Disco.