Iasi, Kulturpalast

Von Galati nach Iasi

Schon früh am Morgen ist es draußen unerträglich heiß. Der wahre Luxus besteht darin, noch bis 12 Uhr das kühle, klimatisierte Hotelzimmer genießen zu können. Erst dann wage ich mich aus dem Haus. In den ersten Minuten fühlt man sich noch wohl, ist angenehm erfrischt, aber das gibt sich bald. Ich gehe die Uferpromenade entlang, erst ein Stück stromaufwärts. Da sind Buden und Stände aufgebaut für ein Stadtfest, wohl ein Familienfest mit Kinderprogramm. An den meisten Ständen hängen Schilder, dass jetzt zwischen 12 und 17 Uhr Pause gemacht wird, nur an einem Kaffeestand plärrt laute Musik. Mehrere Leute Liegen auf der Wiese an der Böschung um Flussufer auf Isomatten und halten Mittags-Siesta. Je weiter ich gehe, desto weniger Leute kommen mir entgegen. Irgendwann drehe ich um.
Stromabwärts kommen bald die ersten Hafenanlagen, ein Schiffsanleger, Verwaltungsgebäude.
Eine schattige Fußgängerzone führt stadteinwärts, weg vom Fluss. Schattig ist die Straße aber nur auf der einen Seite. Es kommen mir verdächtig wenige Menschen entgegen, die Stadt ist wie ausgestorben.
Nach einer Weile erreiche ich den zentralen Platz, da ist ein geöffnetes Lokal, an einem Tisch sitzen Männer und trinken Kaffee und Wasser. Ich gehe weiter. Ab hier wäre normalerweise eine von Autos befahrene Straße, aber es fahren keine Autos. Die Straße ist an mehreren Stellen abgesperrt, da stehen Busse oder Autos quer. Vor den Lokalen werden Tische auf die Straße geräumt. Offenbar findet hier heute Abend oder demnächst ein Stadtfest oder irgend so etwas statt, es wird kräftig aufgebaut – aber noch ist nichts geöffnet.
Ich gehe weiter, an dier Universität vorbei. Auch hier wird überall fürs Stadtfest gearbeitet und vorbereitet. Dahinter rechts und links der Straße ein paar schöne Villen. Eigentlich eine ganz nette Gegend hier, eine schöne Kirche, einige alte Villen, kleine Parks… ich gelange zurück in die Innenstadt (oder das, was ich dafür halte… es sind extrem wenige Menschen unterwegs!), da ist ein Einkaufszentrum, darin ein kleiner Supermarkt. Ich brauche jetzt einfach nur etwas Kühles zu trinken. Der Supermarkt ist angenehm klimatisiert.
Und dann muss ich denselben Weg nochmal gehen, mit meinem Koffer im Schlepptau. Ich erreiche den Bahnhof, mein Zug wird bereitgestellt: zwei Großraumwagons. Die haben zwar eine Klimaanlage, aber trotzdem ist es drinnen heiß und stickig. Ich gehe noch einmal nach draußen, schaue den Lokomotiven beim Rangieren zu, aber irgendwann muss ich einsteigen, und dann ist es drinnen nicht weniger stickig als vorhin. Vermutlich haben die Wagons vorhin eine ganze Weile in der prallen Sonne herumgestanden und sich ordentlich aufgeheizt, und da kann die Klimaanlage jetzt erstmal eine ganze Weile lang arbeiten. Bis dahin kann man nichts tun, außer einfach nur da zu sitzen, versuchen, zu schlafen, hoffen, dass die viereinhalb Stunden irgendwie vergehen… ich schwitze und schwitze und schwitze.
Es geht los. Ganz langsam und gemächlich, am Fluss entlang, nicht an der Donau, sondern am Siret, der hier in die Donau mündet, dann kommt ein Tunnel und dann der erste Halt, der Rangierbahnof Barbosi. Da geht’s eine ganze Weile lang nicht weiter, bis endlich der Gegenzug kommt.
Ich nicke ein, wache auf und nicke wieder ein und es ist immer noch einfach nur heiß, heiß, und heiß. Ich habe zwar Wasser dabei, aber viel zu wenig, man kann nur in kleinen Schlucken den Mund befeuchten, alles andere muss warten, bis wir angekommen sind. Im vorderen Wagon lässt sich das Fenster öffnen, das macht die Sache ein bisschen erträglicher.
Am nächsten Halt haben wir planmäßig eine Viertelstunde Aufenthalt: hier wird die Lokomotive gewechselt. Ein Kaff im Nirgendwo. Der Zug hält an, die Türen gehen auf, die Raucher nutzen die Gelegenheit, um kurz nach draußen zu springen. Da drüben, vorn am Hausbahnsteig, sehe ich einen kleinen Kiosk. Das ist die Gelegenheit! Ich stecke mir ein paar Geldscheine ein und sprinte zum Kiosk: „Haben Sie Bier?“
Die Inhaberin nickt bedächtig, dreht sich in aller Ruhe um, bewegt sich zu einem großen Kühlschrank mit Glasfront, nimmt eine Flasche heraus, und noch eine, stellt die eine Flasche wieder zurück und händigt mir die andere aus.
Ich sprinte zurück zum Zug – aber ich kann mir Zeit lassen, denn die neue Lokomotive ist noch nicht angekommen. Selten war ein Bier so köstlich. Ich schwitze zwar immer noch – der Wagon ist weiterhin die reinste Sauna, und nach meinem Sprint ist mein Platz am offenen Fenster leider okkupiert worden, aber egal, ich fühle mich jetzt nicht mehr ganz so dehydriert.
Ganz gemächlich geht es weiter, jetzt mit Diesellokomotive, über eine endlose Ebene, manchmal steppenartig, manchmal Sonnenblumenfelder, vorn rechts sogar Hügelland, irgendwo dahinter muss Moldawien liegen.
Die Sonne sinkt, die Temperatur wird erträglicher, die Verspätung nimmt stetig zu, es wird dunkel und irgendwann hält der Zug an einem dunklen, unbeleuchteten Bahnsteig, zur anderen Seite ein großes Bahnhofsgebäude, aber kein Schild zu sehen.
Alles steht auf. Sind wir da? Scheint so! Niemand bleibt mehr im Zug, das muss also Iasi sein, Endstation.
Ich steige aus. Züge werden rangiert, ich gehe über den Bahnsteig, durch die Bahnhofshalle, hinaus auf den belebten Vorplatz. Viele Busse, Autos, und ein breiter Boulevard, der vom Bahnhof wegführt. Wo bin ich? Wie heißt diese Straße? Die breitesten Straßen haben in diesem Land keine Straßenschilder und die Karten von Google oder Apple sind auch keine Hilfe.
Ich frage mich durch – und bin viel näher am Zentrum als gedacht. Auf der hell beleuchteten Piata Uniri ist über das zentrale Denkmal ein Zelt aus Lichterketten gespannt. In meinem Hotel ist gerade eine Hochzeitsfeier zugange, aber das soll mich nicht stören.
Ich ziehe mich kurz um und mache mich gleich auf, die Stadt zu entdecken: eine kopfsteingepflasterte, verkehrsberuhigte Straße voller Cafés, Kneipen und Restaurants, fröhlicher Samstagabendtrubel, viele Leute unterwegs, die meisten schick gekleidet und gepflegt. Links und rechts der Straße sind mehrere Kirchen und repräsentative Gebäude, diskret angestrahlt, das Rathaus strahlt in den rumänischen Nationalfarben.
Die Straße führt auf den Kulturplalast zu, der, ebenfalls angestrahlt, tatsächlich aussieht wie ein französischer Palast. Ich gehe um den Palast herum und gelange in ein Ausgehviertel, welches sich um einen künstlichen Teich herum erstreckt. Die Lokale sind gut besucht, und obwohl es längst auf elf Uhr abends zugeht, habe ich keine Probleme, noch etwas zu essen zu bekommen.
Die Musik in Disco-Lautstärke aus der Cocktailbar nebenan ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, aber so ist das hier.

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