Mein Ziel für heute ist der Sacro Bosco, der „Heilige Wald“, auch auch als „Park der Ungeheuer“, Parco dei Mostri) bekannt. Der ist mit dem Zug nicht ganz einfach zu erreichen.
In aller Frühe stehe ich auf und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Der Morgen ist angenhem frisch, noch kühl, aber der Himmel ist blau. Am Bahnhof schlängele ich mich zwischen wartenden Schülern und Schulbussen hindurch und steuere das Café an. Da ist schon gut was los. Ich warte mich an der Kasse nach vorn, und nehme Cappuccino und Cornetto zwischen Bahnangestellten und Studenten am Stehtisch zu mir.
Jetzt bloß nicht wieder vergessen, das Ticket abzustempeln! Ein blauer Nahverkehrs-Triebwagenzug wird bereitgestellt. Der Schaffner kontrolliert schon die Tickets, obwohl der Zug noch gar nicht losgefahren ist.
Dann geht’s los, nach Osten, der Sonne entgegen. Blauer Himmel, Herrliches Licht, die Sonne schon gleißend hell, wenn man direkt in die Richtung schaut, aber kühl.
Ganz gemächlich zockeln wir durch die Toscana. Unterwegs reinigt ein Angestellter die Sitze. Immer wieder lange automatische Ansagen, in denen es auf italienisch und auf englisch um die Hygienevorschriften geht.
Nach einer guten Stunde erreichen wir Chiusi: ein riesengroßer Bahnhof im Nirgendwo. Die Nebenstrecke von Siena stößt hier auf die Hauptstrecke von Florenz nach Rom und ich habe jetzt eineinhalb Stunden Aufenthalt und damit Gelegenheit, ein weiteres Bahnhofscafé kennenzulernen.
Es geht weiter mit einem ziemlich vollen, langen Regionalzug, der mit gemächlichem Tempo durch die Landschaft zockelt. Eine weite Ebene – oder ein flaches Tal, begrenzt von Bergen oder Hügeln links und rechts, bzw östlich und westlich. Der Himmel ist blau, die Landschaft eher eintönig. Ich döse ein, wache auf, döse nochmal ein, nehme mir vor, nicht mehr einzudösen und dann kommt auch schon bald der halt Attigliano.
An dem erstaunlich schmucken Bahnhof steigt außer mir nur noch eine Dame aus.
Draußen ist nix los. Ob es hier Busse gibt? Fehlanzeige! Nirgendwo eine Haltestelle zu sehen, noch nicht einmal ein Taxi sehe ich.
Also schleppe ich mein Gepäck die Straße entlang über den unebenen Asphalt, nicht überall gibt es einen Bürgersteig. Mein Hotel liegt am Ortsrand, in einem Gewerbegebiet an der Autobahnausfahrt.
Ich checke ein, ziehe mich kurz um und mache mich zu Fuß auf den Weg in das etwa 6 Kilometer entfernt liegende Bomarzo.
Ich gehe die Landstraße entlang, überquere die Autobahn, die Eisenbahn-Schnellstrecke und den Tiber und dann geht es zunächst flach über die Ebene hinweg. Der Weg zieht sich. Autos donnern an mir vorbei, PKW’s und Lastwagen, kein einziges Motorrad, kein Vespa-Roller, geschweige denn ein Fahrrad. Niemand außer mir ist so blöd, sich ohne den Schutz einer Blechkiste hier entlang zu wagen.
In Serpentinen geht es steil den bewaldeten Berghang hinauf, kein Bürgersteig, kein parallel führender Wanderweg weit und breit.
Nach einer Stunde etwa erreiche ich den auf einem Bergrücken gelegenen Ort Bomarzo. In den engen mittelalterlichen Gassen rund um das Schloss ist kaum ein Mensch unterwegs. Im Dorfcafé an dem kleinen Platz mit dem Brunnen erstehe ich eine Flasche Eistee, dann geht’s weiter zu meinem eigentlichen Ziel, welches zu Fuß noch eine knappe Viertelstunde weiter außerhalb liegt.
Ich erwerbe eine Eintrittskarte und bin gespannt.
Der Wald ist nach mitteleuropäischem Maßstab eher ein lichtes Gebüsch mit schattigen Bäumen und Gebüsch und dazwischen stehen die Figuren, die Vicino Orsini, der letzte Feudalherr von Bomarzo, im 16. Jahrhundert hier anlegen ließ:
Ein irgendwie zur Fratze verzerrtes Gesicht. Ein Löwe mit weit aufgerissenem Maul, auf dem Kopf eine Kugel und darauf ein Gebäude, oder etwas, das wie ein Gebäude aussieht. Links von mir plätschert ein Bach. Drumherum Moos, Gras, Sträucher und Bäume, zum Teil grün, zum Teil schon herbstlich bunt. Das ist kein blitzblank hergerichteter Park wie man ihn aus England oder Mitteleuropa her kennt, gerade das Moos, der Verfall, das macht diese Atmosphäre aus, diesen Charme, der Künstler wie Salvador Dalí inspiriert hat.
Ein wunderbarer Ort. Ein ganz eigenartiger Ort.
Links von mir stehen mehrere kleine Statuen. Ich mache ständig Fotos. Dann eine gemähte Wiese am Hang, darauf ein kleines Tempelchen mit einer kleinen Säulen-Vorhalle und einer Kuppel, man könnte es für eine Kapelle halten, aber es ist keine Kapelle, denn mit der Kirche stand Graf Orsini wohl eher auf Kriegsfuß.
Ein Stück unterhalb befindet sich – schon wieder mitten im Gebüsch – eine Art Terrasse, flankiert von Figuren, die aussehen wie Eicheln oder Eiern in Eicherbechern. An der hinteren Stirnseite ein Figurenensemble – eine Frau, deren Beine zu Schlangen werden, dazwischen eine etwas verwitterte Figur, zwei Bären und ein Zerberus mit drei Köpfen. Eine verwitterte Treppe führt hinunter zu der berühmtesten Figur: dem Orcus, dem Höllenrachen, dem Tor zur Unterwelt. Darin eine Grotte mit steinernem Tisch und steinerner umlaufender Bank.
Dann gibt es den riesigen Elefanten, den Drachen, das „schiefe Haus“ und eine Terrasse mit Obelisken, einer Schildkröte, einem riesigen Hercules und zahlreichen kleineren Figuren.
Ich gehe mehrmals langsam über das Gelände, fotografiere viel zu viel und will das alles begreifen: dieses eigenartige Licht: Blauer Himmel, aber hin und wieder verschwindet die Sonne hinter einer Wolke, immer wieder blitzt das Sonnenlicht durch und fällt auf einzelne Details, andere Teile liegen im Schatten. Im Schatten ist es kühl.
Alles irgendwie geheimnisvoll, ein sehr schräger Ort.
Nach zwei Stunden bin ich erschöpft, gönne mir im Besucherzentrum einen Kaffee und eine Kleinigkeit zu Essen und um Besucherzentrum und dann muss ich mich auf den Rückweg machen.
Nein, einen Busverkehr gibt es wirklich nicht, oder vielleicht doch, aber niemand weiß, ob und wann sie fahren. Und Taxis? Ja, da gibt es im Dorf wohl jemanden, den man anrufen kann, wenn er gerade mal zu Hause ist, ist aber alles eher so unter der Hand. Und ob es irgendwie einen Wanderweg gibt, durch den Wald, abseits der Straße? Wie bitte? Zu Fuß, die ganze Strecke ins Tal nach Attigliano? Das ist doch viel zu weit, das macht doch niemand! Und wenn man kein Auto hat?
Die junge Frau am Info-Schalter schaut mich verständnislos an.
Ich bedanke mich und mache mich auf den Weg.