Als ich in Maastricht ankomme, ist es sieben Uhr abends an einem Dezembertag und schon dunkel. Ich durchquere Bahnhofshalle und trete auf den Vorplatz hinaus: der ist vorweihnachtlich-festlich beleuchtet. Eine verkehrsberuhigte Straße mit Kopfsteinpflaster führt in Richtung Maas, rechts und links kleine Läden und Kneipen. Kurz vor der alten Brücke gönne ich mir stilecht eine Portion Pommes, die ich dann mit Blick auf die Altstadt genieße: die älteste Stadt der Niederlande und dies ist angeblich die älteste Brücke des Landes, und lange Zeit die weit und breit Einzige, die diesen Fluss überquert.
Auch in der Altstadt gibt es Kopfsteinpflaster, dazu heimelig-enge Gassen und schick herausgeputzte altehrwürdige Backsteinfassaden. Einige der alten Gebäude sind gemütlich bunt angestrahlt, nicht übertrieben, alles mit Maß. Die Stadt sei für ihr französisches Flair berühmt, heißt es. Aber was ist hier französisch? Was ist niederländisch?
Das Rathaus, ein imposanter, Bau aus dem 18. Jahrhundert oder so, mit Türmchen, freistehend mitten auf dem Markt – ist eindeutig im typisch niederländischen Stil.
Mein Hotel ist gleich in der Nähe, das Zimmer eher spartanisch, aber egal, zentraler geht’s wirklich nicht und gleich nebenan ist ein schönes Café. Was hier als „Café“ firmiert, ist in Wirklichkeit manchmal ein Restaurant, manchmal auch das, was man in Deutschland eine Kneipe nennen würde, wo man nicht genötigt wird, gleich etwas zu essen bestellen zu müssen.
Vor dem Schlafengehen noch ein kurzer Rundgang durch die Stadt: Auf dem Vrijthoof – dem zweiten großen Platz – ist ein Weihnachtsmarkt aufgebaut, allerdings ein für meinen Geschmack ziemlich rummeliger Weihnachtsmarkt, der mehr mit Kirmes zu tun hat, mit Riesenrad und Eislaufbahn, es riecht auch nicht nach Glühwein, sondern nach Zuckerwatte und gebrannten Mandeln.
Es gibt auch eine Uferpromenade, und stromabwärts von der alten Brücke ist die breite Autostraße in einen Tunnel verbannt, oder anders herum gesagt, man hat einen Deckel darauf gesetzt und für ein paar hundert Meter ist die Altstadt mit dem Fluss verbunden. Dort am Ufer ein eindrucksvoller Fahrradparkplatz, in der Fußgängerzone gibt’s ein Parkverbot für Fahrräder, aber es hält sich nicht jeder dran, da stehen eine ganze Reihe von offensichtlich dauer-geparkte Rädern herum. Und die große Frage ist: Wie will man das Verbot eigentlich durchsetzen? Mit Park-Krallen für Fahrräder?
Ein kalter Wind weht durch die Gassen, klar, es ist ja auch Dezember. Ich begebe mich zurück zum Hotel.
Der Angestellte unten an der Bar war vorhin eher ruppig, jetzt ist er richtig freundlich und verrät mir sogar ungefragt das W-Lan-Passwort.
Am nächsten Morgen regnet es.
Über eine Stunde lang sitze ich im Café mit Blick über den Marktplatz hinaus in den Regen, der mal stärker wird, dann nur noch ein Nieseln ist, Nasses Kopfsteinpflaster, Fahrräder, Autos, Leute mit Regenschirmen, Markthändler unter ihren Schirmen, und ich finde keinen Grund, aufzustehen und hinaus zu gehen.
Irgendwann breche ich dann doch auf: ich will unbedingt die einzigen niederländischen Weinberge sehen. Die soll es hier nämlich geben, am Ufer des Jeker, dem vermutlich einzigen niederländischen Fluss, der so etwas wie ein echtes Tal bildet. Ich bin gespannt.
Gehe also durch die Altstadt, an der Stadtmauer entlang, dem Bach von seiner Mündung in die Maas an stromaufwärts folgend, bald bin ich aus der Stradt draußen, komme an einer Wassermühle vorbei und – nun ja, mit etwas Phantasie kann man die Landschaft hier als ein sehr breites, flaches Tal bezeichnen, nach Süden hin gibt es jedenfalls eine richtige Hügelkette und nach Norden hin auch und – ja, tatsächlich, da stehen Rebstöcke im Nieselregen.
Ich erklimme den Gipfel des Berges – zwischen den Rebstöcken hindurch – lande versehentlich auf Privatgelände, passiere die Gebäude des Weingutes, und gelange dann auf einen Wanderweg, der durch bewaldetes Gebiet führt, an einer prähistorischen Ausgrabungsstätte vorbei durch ein Naturschutzgebiet.
Und hier oben liegt doch tatsächlich Schnee! Nicht viel, nur ein ganz kleines bisschen Weiß zwischen dem Gebüsch, aber es ist echter Schnee, und dann schneit es sogar ein bisschen, bis es dann wieder in Nieselregen übergeht.
Nach einer Weile habe ich die Staatsgrenze erreicht, eine Ecke des belgischen Dorfes Kanne, gleich hinter der Kapelle ist wieder die Grenze und das Schloss Neerkanne mit seinem Barockgarten – bei schönem Wetter sicherlich eindrucksvoll – ist schon wieder auf niederländischem Gebiet. In der Nähe befindet sich der Eingang zu einem einst streng geheimen Nato-Bunker, aus Zeiten des kalten Krieges, den kann man inzwischen besichtigen, aber jetzt gerade nicht.
Ich finde noch ein zweites Weingut, unten im Tal, befor ich mich, wieder am Jeker entlang in Richtung Innenstadt begebe.
Die Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters ist zu einer Buchhandlung umgebaut worden – das ist eindrucksvoll, im Altarraum kann man jetzt an einem kreuzförmigen Tisch Kaffee trinken, aber irgendwie hat es einen merkwürdigen Beigeschmack.
Heute ist Nikolaustag, der in diesem Land bekanntlich mehr gefeiert wird als Weihnachten. Einige Lokale und Geschäfte sind auch abends noch geöffnet, aber ansonsten ist es still in den romantisch beleuchteten Kopfsteinpflastergassen.
Ich schlendere noch ein wenig durch den Nieselregen, bevor ich müde in mein Hotelzimmerbett falle.