Vormittags noch ein Ausflug in die Oberstadt: inzwischen ist es wieder sommerlich warm. Schon in der steilen Gasse, die zum Stundturm hinaufführt, treffe ich auf die erste Reisegruppe, hinter dem Tor, auf dem Burgplatz dann gleich auf die nächste und übernächste.
Der berühmte Turm beherbergt ein Museum: hier findet man Ausgrabungsfunde aus der Römerzeit, Möbel und Kunsthandwerk aus mehreren Jahrhunderten, einen Einblick in das uralte Uhrwerk – und ganz oben eine umlaufende Beobachtungsplattform mit herrlichem Blick über Oberstadt (die „Burg“), die Unterstadt und die umgebende Landschaft.
Nach einer kurzen Verschnaufpause mache ich mich mit Gepäck auf den Weg zum Bahnhof.
Zugfahren in Rumänien ist sehr gemächlich, das weiß ich ja inzwischen: Selbst wenn man auf einer Hauptstrecke unterwegs ist, und es sich um einen Fernverkehrszug mit langem Laufweg quer durchs Land handelt. Die Züge sehen etwa so aus, wie sie bei uns vor der Ära der ICE’s ausgesehen haben, auf den ersten Blick also ganz ordentlich. Dieser Zug ist ein Interregio – und entspricht vielleicht tatsächlich so in etwa dem, was in Deutschland vor dreißig Jahren unter diesem Namen unterwegs war.
Dieser Zug besteht aus vier Wagons. Der vorderste ist ein Großraumwagon, durchgängig in Vierersitzgruppen, klimatisiert, mit Steckdosen. Dieser Wagon ist ziemlich voll besetzt, unter anderem mit einer Gruppe junger Leute. Da befindet sich auch der Platz, der auf meiner Fahrkarte angegeben ist, und auf dem ich die ersten zwei Stunden verbringe.
Es folgt ein Abteilwagon, mit geschlossenen (und durch eine Glastür abgetrennten) 5-Platz Abteilen an den Enden und offenen Vier-Platz-Abteilen in der Mitte. Dieser Wagon ist deutlich leerer, die Klimaanlage bläst stärker und trotz Klimaanlage lassen sich die Fenster öffnen.
Dann gibt es noch einen Erster-Klasse Großraumwagen und einen weiteren Zweiter-Klasse-Großraumwagen, der nahezu komplett leer ist.
Die Landschaft ist sanft hügelig, erst überwiegend Wiesen, zwischendurch mal Wald, insgesamt sehr grün, nicht verbrannt, wie man es vom Mittelmeerraum her kennt. Nach einigen Stunden werden die Berge höher, sehen jetzt aus wie richtige Felsengebirge: mein heutiges Tagesziel Brașov liegt schon mitten in den Karpaten.
Mit ein paar Minuten Verspätung kommen wir dort an. Brașov ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, die Bahnhofshalle im Stil des Beton-Brutalismus der 1960er Jahre ist die Größte, die ich bislang in Rumänien gesehen habe.
Draußen ein weiter Platz, umgeben von Wohnblöcken aus sozialistischer und postsozialistischer Zeit, dazwischen breite Boulevards und Kreisverkehre. Brașov ist eine Großstadt und mit rund zweihunderfünfzigtausend Einwohnern immerhin die sechstgrößte Stadt des Landes.
Mit dem O-Bus fahre ich ins Zentrum – oder versuche es zumindest, denn der Bus biegt irgendwo ab in eine Richtung, die mir nicht vertrauenswürdig erscheint und dann irre ich zu Fuß eine gefühlte Ewigkeit zwischen Fitnesstudios, Großraumdiscos und Plattenbauten umher, umtost vom brausenden Autoverkehr.
Weit vor mir am Berghang sehe ich oben im Wald den Namen der Stadt in weißen Buchstaben: fast wie Hollywood, allerdings mit einer etwas anderen Vorgeschichte: in den 1950er Jahren war diese Stadt einmal vorübergehend nach dem sowjetischen Diktator Stalin benannt worden, den neuen Namen hat man dann oben in den Bergwald gefräst und und damit das auch jeder mitbekommen hat, war diese Bezeichnung oben in den Bergwald gefräst worden – und damit nach der Rückbenennung auch wieder jedermann Bescheid wusste, hat man es mit dem neuen alten Namen auch so gehalten.
Endlich erreiche ich die Fußgängerzone, die ist voller Menschen. Es ist Samstagabend, Feierabendzeit, die Leute sind gut gekleidet und in Ausgehlaune. Die Fußgängerzone führt schnurgerade auf die „Schwarze Kirche“ zu, den größten spätgotischen Bau Osteuropas, deren Dach im Licht der niedrig stehenden Sonne strahlt. Leider ist sie schon geschlossen.
Nebenan auf dem Rathausplatz tobt das Leben, ebenso in den Seitenstraßen. Ich drehe eine Runde durch die Altstadt, finde ein gemütliches Lokal und finde spät abends auf abenteuerliche Weise zum Hotel zurück.
