Die Regionalzüge von Rom über Attigliano nach Florenz gehen nur alle zwei Stunden, den 10-Uhr-Zug habe ich gerade verpasst, also habe ich noch Zeit, mir den Ort anzuschauen: auch Attigliano hat ein paar alte Gassen und Mauern und eine Terrasse mit einem schönen Blick über das breite Tiber-Tal (beziehungsweise die Tiber-Ebene) – und natürlich auf den bewaldeten Hang dahinter, über dem irgendwo das Städtchen Bomarzo thront.
Die Bar an der zentralen Piazza hat allerdings noch geschlossen, nur der Zeitungsladen nebenan ist geöffnet. Die kleine Bahnhofshalle ist sauber, aber leer, der Schalter ist nicht besetzt, aber es gibt einen funktionierenden Automaten.
Nebenan in der Bar ist eine Menge los, es sind überwiegend Männer im mittleren Alter, die Lotto-Scheine kaufen. Ich nehme meinen Cappuccino und setze mich nach draußen an den einzigen Plastiktisch direkt auf dem Bahnsteig. Die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel, aber es pfeift ein ordentlicher Wind und es ist erstaunlich kühl. Irgendwo bellt ein Hund.
Pünktlich um zwölf kommt der Zug, tuckert dann gemächlich durch das breite Tiber-Tal, vorbei an der Stadt Orvieto mit der über ihr thronenden Burg, am Lago Trasimeno vorbei wieder in die Toscana.
In Arezzo wird der Zug von einem Trupp Schüler gestürmt, aber sie verteilen sich auf die Länge des Zuges. Die Landschaft draußen ist mal bergig, mal hügelig, mal eben und dann geht’s gemütlich am Arno entlang nach Florenz. Pünktlich erreichen wir den Kopfbahnhof der toskanischen Metropole.
Die Regional-Bahnsteige und die Fernbahnsteige sind jetzt mit einem Absperrband voneinander getrennt, und es gibt auch wieder eine Sperre/Kontrolle von der Bahnhofshalle zum Bahnsteig.
Ich habe Zeit, begebe mich in das nächstgelegene Café in der Buchhandlung und trinke einen Espresso im Stehen. Die Theke ist mit Plexiglas abgetrennt und auch an den Stehtischen stehen Plexiglaswände.
Ich gehe durch die Zugangskontrolle zum Hochgeschwindigkeits-Bahnsteig.
Zwischen Florenz und Bologna liegt der Apenninen-Hauptkamm und die Grenze zwischen Nord- und Mittelitalien. Drei Bahnstrecken führen darüber hinweg beziehungsweise hindurch, zwei davon werden nur noch wenige Male am Tag von Regionalzügen bedient und über die Dritte donnern alle paar Minuten die Hochgeschwindigkeitszüge.
Mein Zug kommt, ich steige ein und die Zugbegleiter verteilen Papierbeutel an alle Reisenden, darin befinden sich ein Tetra-Pack Trinkwasser, eine Gesichtsmaske und ein Pappbecher, alles extra in Plastik eingeschweißt. Bei der Fahrkartenkontrolle will man zum ersten mal meinen „Green Pass“, den Corona-Impfnachweis auf dem Handy sehen.
Draußen gibt es nichts zu sehen: es geht fast durchgehend durch Tunnel, und auch in Bologna hält der Zug an einem unterirdischen Bahnsteig.
Ich steige in Ferrara aus. Das erste was auffällt: hier sind auffällig viele Radfahrer unterwegs – ganz anders als in den meisten italienischen Städten. Aber kein Wunder: hier ist alles flach, weit und breit weder Berge noch Hügel zu sehen.
Entlang der breiten Via Cavour – Bäume, Radweg und breiter Bürgersteig mit Café-Terrassen – gehe ich stadteinwärts bis zum Castello Estense, dem Wahrzeichen der Stadt, einer Backstein-Wasserburg mit vier Türmen, ein Märchenschloss, wie es im Buche steht.
Schnell im Hotel einchecken und dann die Stadt entdecken! Goldenes Licht, Kopfsteinpflaster, viel Backstein, Arkadengänge, verhältnismäßig breite Gassen und überall Radfahrer. Fast ein bisschen wie in Holland – mit italienischem Wetter, blauem Himmel, aber längst herbstlich kühl. Die Burg mit dem Wassergraben ist so groß, dass sie kaum auf ein Foto passt. Die Kathedrale hingegen versteckt sich – sie liegt sozusagen in zweiter Reihe hinter einer Zeile von Ladengeschäften mit Arkadengängen. Irgendwie gelange ich zur Stadtmauer und durch ein Tor in ausgedehnte Grünanlagen, in denen Hunde von ihren Herrchen und Frauchen Gassi geführt werden. Zwischen Bäumen und Gebüsch schimmert der Fluss hindurch, ein Seitenast des Po.
Ich gehe zurück in die Innenstadt, bestaune Renaissance-Fassaden, schlendere durch dunkle, geheimnisvolle Nebengassen mit Bogengängen, nehme einen Aperitivo und schaue den Leuten zu.