Ich schlafe unruhig. Um halb 8 klingelt mein Wecker, ich mache mich fertig und checke nach dem Frühstück aus. Der Himmel ist strahlend blau, aber es ist kalt, gerade mal 11 Grad. In den Straßen ist noch nicht viel los, fast alle Geschäfte und Cafés sind heute, am Sonntag noch geschlossen. Nur vor einem Café sitzen zwei ältere Männer und trinken Wein.
Die Blätter in dem kleinen Park mit dem Denkmal der Kaiserin Sissi vor dem Bahnhof sind schon ein bisschen gelb, aber überwiegend noch grün.
Ich betrete die Bahnhofshalle. Vor dem Tabaksladen hat sich eine Schlange gebildet.
„Zeitungen gibt’s nicht!“, begrüßt mich der grummelige Besitzer ungefragt, als ich drankomme, nach Postkarten brauche ich daher gar nicht erst zu fragen. Wer verschickt auch heutzutage noch Postkarten?
Also weiter zum Bahnhof. Ich bin ein bisschen nervös: ich habe einen langen Weg vor mir, auch wenn alles planmäßig verläuft bin ich erst spät am Abend zu Hause, mit Umsteigen in Udine, Villach, Salzburg und München.
Aber der erste Zug ist schonmal pünktlich: ein zuverlässiger Nahverkehrs-Dieseltriebwagen. Neben mir sitzt ein junges Paar in Bergsteigermontur. Es geht los, gleich zu Anfang mit großem Landschaftskino und Blick über das blaue Meer, wie von einem Balkon herab. Der Zug hält sogar in Miramare, in dem verwunschenen Bahnhof, den ich gestern nicht gefunden habe. Dann geht es durch Karst-Gebirge, vorbei an der Abzweigung nach Villa Opicina und Slowenien, dann noch ein Halt mit Blick auf das Schloss Duino und weit verstreute Orte, die Autobahn, Straßen, Tunnel, und der Hafen von Monfalcone, nördlichster Punkt des Mittelmeers.
Dahinter zweigt die Strecke in Richtung Goriza ab. In Sagrado sind die Berge schon zum Greifen nah, einige davon schon schneebedeckt. Die Strecke erreicht den Unterlauf der Isozo, der aus Slowenien kommt, ein flacher Bergfluss in einem breiten Kies- und Geröllbett.
Wir erreichen Gorizia, einen großen, großzügigen Bahnhof. Allerdings ist auf all diesen Bahnhöfen nicht viel los. Selbst in Triest – immerhin eine richtig große Großstadt – gab es es nicht wirklich einen durchgehenden Stundentakt auf den wichtigen Strecken nach Venedig und Udine. Dafür hin und wieder eine exotische Verbindung, zum Beispiel nach Wien über Ljubljana, oder ein Hochgeschwindigkeitszug nach Milano.
Hinter Groriza überquert die Strecke den Isozo, geht dann bergauf durch „den Karst“ – das geheimnisvolle Hinterland von Triest – nach Westen, Nordwesten, im großen Bogen in Richtung Alpen. Die Strecke erreicht eine Art Hochebene und es geht zügig voran. Dann wird es hügeliger und grüner. Anders-grün, frischer-grün, fruchtbareres Grün. Wächst hier schon Wein?
Nächter Halt Cormons: Viele Gleise und Gras und Schachtelhalme zwischen den Gleisen. Dann kommt Manzano: Gewerbeanlagen, die sonntäglich-leer, verwaist ausschauen. Dahinter sind dann tatsächlich Weinfelder. Flache Weinfelder. In Buvio entdecke ich einen alten Dampflok-Wasserkran und Palmen hinter einem Drahtzaun. Irgendwo spielt jemand vom Handy arabische oder türkische Musik.
Aus der flachen Landschaft ragen am Horizont die grauen Hochgebirgsketten auf wie eine durchgehend graue Wand. Dann kommen wir in Udine an.
Der Bahnhof ist ziemlich groß und auch die Bar sehr geräumig, aber alle Sitzbereiche sind abgetrennt und um den Tresen herum stehen Plexiglaswände.
Draußen an der Straße finde ich ein gemütlicheres Café, und als ich meinen Cappuccino ausgetrunken habe reicht die Zeit immer noch für einen Espresso im Stehen in der Bahnhofskneipe.
Der Zug kommt, ein österreichischer Railjet auf dem Weg von Venedig nach Wien. Mein reservierter Platz ist besetzt, die Dame und ihre Begleiterin stehen grummelig auf.
Ganz langsam im Schneckentempo geht es voran über das zunächst noch flache Land, hält dann irgendwo im Nirgendwo an – eine Viertelstunde lang auf einem menschenleeren Bahnhof namens Targento. Dann geht’s weiter durch ein Tal mit bewaldeten Bergen an beiden Seiten und hinter Carnia kommen dann richtige Felsenberge, und irgendwann ein langer Tunnel.
Gegen ein Uhr erreichen wir den Grenzbahnhof Tarvisio-Boscoverde. Am Bahnhof stehen Polizeibeamte und Soldaten in Flecktarn-Uniform. Die junge Dame aus dem Sitz vor mir führt ihren Chihuahua auf dem Bahnsteig Gassi. Türen piepsen und der Zug fährt weiter, mit siebzehn Minuten Verspätung. Draußen großartige Alpenlandschaft mit blauem Himmel, schroffen Felsenbergen und herbstlich bunt gefärbtem Wald. Dann wieder ein Tunnel und als wir endlich in Villach ankommen, ist der Zug nach Salzburg natürlich schon weg, der nächste geht erst in zwei Stunden.
Jetzt habe ich also zwei Stunden in Villach gewonnen. Ärgern lohnt sich nicht. Wo geht’s hier zur Innenstadt?
Viel zu sehen gibt’s hier nicht. Nach wenigen hundert Metern überquere ich die Drau, dahinter fängt die Fußgängerzone an und ist auch gleich wieder zu Ende: ein eher unscheinbarer Hauptplatz, Kirche, Rathaus, das war’s schon. Sonntägliche Stille, nur MacDoof-Frittenbräter hat geöffnet und noch ein weiteres Lokal. Ist das jetzt ein Café oder eher auch so eine Art Burger-Lokal?
Eher letzteres und die einzige Bedienung ist ziemlich gestresst. Man bestellt drinnen, setzt sich dann und wartet. Nicht alle in der Warteschlange tragen eine Maske. Eigentlich muss jetzt jeder seinen Corona-Impf-oder-Test-Nachweis vorzeigen, aber darum kann sie sich nicht auch noch kümmern, sagt die gestresste Bedienung.
Ich setze mich nach draußen. Blauer Himmel, milde Herbstsonne. Mein kleines Radler kommt sofort, der Veggie-Burger dann nach einer Weile.
Dann gehe ich zum Bahnhof zurück. Böse Vorahnung: der Zug wird an sich schon voll sein, und jetzt kommen noch all die gestrandeten Umsteiger dazu, meine Reservierung ist natürlich weg, also begebe ich mich gleich in den Speiswagen.
Die Kaffeemaschine ist kaputt, die Bedienung auch hier im Mega-Stress, schafft es aber doch, den Kaffee noch irgendwoher zu organisieren.
Ich genieße das Landschaftskino: allmählich bergauf am Berghang, Blick über das Tal, herbstbunter Wald, schneebedeckte Berge, dann der Tauerntunnel und dahinter das Gasteinertal. Ich bleibe im Speisewagen sitzen und bestelle mir noch ein Bier. Pünktlich kurz vor 6 erreichen wir Salzburg.
Ich genieße das Landschaftskino: allmählich bergauf am Berghang, Blick über das Tal, herbstbunter Wald, schneebedeckte Berge, dann der Tauerntunnel und dahinter das Gasteinertal. Ich bleibe im Speisewagen sitzen und bestelle mir noch ein Bier. Pünktlich kurz vor 6 erreichen wir Salzburg.
Auch der Railjet nach München ist natürlich brechend voll, aber gut, man hat ja seine Tricks. Überpünktlich, 8 Minuten vor der Zeit kommen wir in München an. Diesmal ist das Umsteigen richtig entspannt und der deutsche ICE zur Weiterfahrt ist glücklicherweise fast leer.