Ich bin in unterwegs in Spanien. Mit dem Auto, von den Pyrenäen im Norden bis nach Andalusien im tiefen Süden. Der Plan: dabei die großen Ballungsräume Madrid und Barcelona großräumig umfahren, um Stau und gebührenpflichtige Autobahnen zu vermeiden.
Die Straße zieht sich endlos dahin, geradeaus, bergauf, bergab, durch braun verdorrtes Land, es fühlt sich ein bisschen so an, wie man sich den Wilden Westen vorstellt. Aber das hier ist nicht Arizona, sondern Aragón, die dünn besiedelte Region im spanischen Nordosten, gleich unterhalb von Katalonien. Links und rechts der Straße ist eigentlich nicht viel zu entdecken, hin und wieder mal eine Olivenpflanzung, ein Bauernhaus oder… hey, was ist denn das?
Ein Bahnhofsgebäude? Mitten im Nirgendwo? Verläuft da wirklich eine Bahnlinie parallel zur Straße?
Im Verlauf der nächsten Stunden entdecke ich Brücken und Viadukte, Tunnel und Gebäude, aber keine Lokomotiven oder Wagons. Und das, was ich sehe, sieht auch ziemlich verfallen aus, manchmal ist die Trasse auch kaum mehr zu erkennen, manchmal hingegen mag man denken, dass dort gestern noch ein Zug gefahren ist.
Aber das ist definitiv nicht der Fall. Diese Linie war niemals im Betrieb, weder gestern noch vorgestern noch irgendwann sonst.
Geplant wurden sie in den 1920er Jahren von dem damaligen Bauminister Conde de Guadalhorce, Ziel war unter strategischen Gesichtspunkten wichtige Militärstützpunkte miteinander zu verbinden, vom Norden bis zum Süden des Landes unter weiträumiger Umgehung der Hauptstadt Madrid. Da man Steigungen vermeiden wollte, waren die Strecken sehr lang und es gab zahlreiche Tunnel, Brücken und Viadukte. Wirtschaftlich hat sich das alles niemals rentiert. Die Arbeiten an den Strecken kamen spätestens während des Bürgerkrieges 1936-1939 zum Erliegen und wurden niemals wieder aufgenommen.
Und die Bauruinen stehen seitdem immer noch in der Landschaft, von Aragón über Kastilien-La Mancha bis Andalusien, wie Geisterstätte im Wilden Westen…