Irgendwo in der Provinz, morgens um halb sechs…

Frühmorgens um halb sechs, eigentlich noch Nacht, sternklare Nacht und empfindlich kalt. Am Bahnsteig stehen eine Menge Leute, aber kein Zug.
„Auf Gleis eins steht bereit…“, schnarrt es aus dem Lautsprecher, aber auf Gleis eins steht gar nix bereit.
Kommt er also noch, oder kommt er nicht?
„Wenn er um diese Zeit noch nicht gekommen ist, dann fällt er aus!“, sagt einer, er spräche da aus Erfahrung.
Laut Bahn-App soll er noch kommen. Oder besser gesagt: laut Bahn-App ist er soeben pünktlich losgefahren.
Ein Bahn-Angestellter – Zugbegleiter auf dem Weg zum Einsatz – hat ganz heiße Insider-Informationen, nämlich eine ganz spezielle App auf seinem Dienst-Handy. „Darauf ist der Zug grün dargestellt,“ erklärt er, „das heißt, dass er irgendwann kommen wird. Würde er ausfallen, dann wäre er weiß.“
Aha. Der Zug existiert also. Das heißt, es muss einen Lokführer geben, und vermutlich auch den einen oder anderen Zugbegleiter. Es ist anzunehmen, dass diese Leute über Handys verfügen und irgendwie mit irgendwem kommunizieren können. Warum tun sie das nicht?
Der Bahner schüttelt den Kopf: der Zug wird von einer Drittfirma bereitgestellt, zu denen hat niemand Kontakt und niemand weiß, wie man mit denen Kontakt aufnehmen kann.
Stattdessen hat er eine weitere Hiobsbotschaft: Auch der nächste Zug wird sich verspäten, um mindestens fünfzehn Minuten.
Eine junge Frau checkt die Lage: „Wenn das so ist, dann komme ich halt heute nicht zur Arbeit!“
Sagt’s, dreht sich um, spricht in ihr Handy und meldet sich krank: Rückenschmerzen.
Eine vierköpfige Familie ist mit schweren Koffern auf dem Weg in den Urlaub. Wenn dieser Zug nicht kommt, dann werden sie auch den ICE nicht erreichen, eine halbe Stunde Umsteigezeit haben sie eingeplant, aber das wird ja wohl nicht reichen, also ist der Flieger wohl weg, es sei denn, wir erreichen noch wen, der uns hier abholt oder wir finden ein Taxi…
Inzwischen dämmert der Morgen herauf.
Und dann kommt der Zug.
Ganz gemütlich-gemächlich kommt her herangetuckert. Bremsen quietschen, Türen springen auf, die Familie kommt vom Taxistand zurückgerannt, schafft es gerade noch, die Koffer hineinzuwuchten, Türen werden zugeschlagen, Trillerpfeife, und los geht’s als sei nichts gewesen.

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