Triest im Februar

In Monfalcone fängt das Mittelmeer an

Ich sitze im Regionalzug, es ist zehn Uhr Abends und ich schaue hinaus in die Dunkelheit.
Seit Monfalcone muss rechts von mir das Meer sein. Oder so ähnlich. Der Zug fährt schneller, und dann sind vorn irgendwo Lichter. Ist das schon Triest? Ich bin gespannt auf diese Stadt! Wenige Minuten später erreichen wir Trieste Centrale, Endstation.
Ich steige aus und gelange in eine großzügige Halle mit Marmor, spiegelndem Boden, Säulen und Stuckdecken.
Ich bin angekommen.
Draußen ist ein kleiner Park, darin ein Denkmal der österreichischen Kaiserin Sissi und drumherum eindrucksvolle Fassaden aus der Habsburger Zeit. Die Bäume im Park sind kahl, es ist kühl und windig und mir wird bewusst, dass ich zuvor noch nie im Winter am Mittelmeer war.
Der schönste Beiname, den diese Stadt hat, ist „Stadt der Winde“.
Klackernd ziehe ich meinen Koffer durch die Straßen, vorbei an Fassaden im Stil des späten neunzehnten Jahrhunderts, wie man sie aus Wien kennt. Fensterläden aus Holzlammellen wie sie zu Italien gehören. Die Ladenschilder, die Straßennamen, alles ist italienisch.
Die Luft ist kühl, klar, erstaunlich trocken trotzdem mild. Das ist kein nordeuropäischer, Cisalpiner Winter, und auch nicht dieses milde, feuchte atlantische Wetter, das ich aus England kenne, das hier ist irgendwie anders.
Gerne bezeichnet sich Triest auch als „Citta Mitteleuropea“ – in genau dieser Schreibweise und gilt für Manche die südlichste Stadt Mitteleuropas, auch wenn hier noch Olivenbäume wachsen und die Oliven-Butter-Grenze ein ganzes Stück weiter nördlich verläuft. Alles hier ist durch und durch italienisch – und doch gehörte diese Stadt fünfhundert Jahre lang zu Österreich und war das Fenster der K.u.K.- Doppelmonarchie zum Meer und Sitz der österreichischen Flotte. Die Passagierdampfer des österreischischen Lloyd waren zeitweise die schnellste und direkteste Verbindung von England nach Indien.
Triest ist und war immer schon eine sehr multikulturelle Stadt – unmittelbar hinter der Stadt ist die Grenze nach Slovenien und wenige Kilometer weiter beginnt Kroatien.
Diese Stadt hat mich immer schon fasziniert, auch wenn ich sie bis heute noch nie besucht habe.
Ich finde mein Hotel, checke ein und mache mich gleich noch einmal auf, abends um halb elf:
Großzügige Boulevards. Großartig mächtige Gebäude aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, strahlend weiße Fassaden, zum Teil angestrahlt. Die Straßen sind menschenleer, komplett leergefegt.
Da ist dieser großartige Platz, der jetzt nach der Einheit Italiens benannt worden ist und vermutlich schon mehrere andere Namen getragen hat, mit dem Rathaus an der Stirnseite, links und rechts flankiert von repräsentativen Gebäuden – unter Anderem dem ehemaligen Sitz des Österreichischen Lloyd – und nach vorne hin offen zum Meer, von diesem getrennt nur durch die breite Uferstraße. Ich überquere diese und gehe hinaus auf den Molo Audace: den Kai, welcher nach dem Kriegsschiff benannt wurde, das seinerzeit diese Stadt unter italienische Kontrolle brachte. Ich blicke zurück auf auf die Lichter der Stadt und hinaus auf das Meer.
Der Himmel ist sternklar, es ist kalt und windig.
Ich will noch etwas trinken, gehe zurück in die Stadt, streife durch die leeren Straßen, entdecke das eine oder andere elegante Restaurant und gemütliche, rustikale Bierkneipen.
Ich trinke ein kleines Bier und kehre durch die leeren Straßen zurück zum Hotel.
Diese Stadt gefällt mir.

Triest, Molo Audace – das Wahrzeichen der Stadt

Ein Wintermorgen in Triest

Der Frühstücksraum meines Hotels ist erstaunlich gemütlich, mit großen Fenstern, die hinaus auf die Fußgängerzone gehen, wo Menschen mit hochgeschlagenen Kragen und Regenschirmen umhereilen.
Ich trinke Cappuccino und knabbere Croissants, dann mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Die Straßen sind jetzt voller Menschen, auch der wunderbare Platz mit dem Rathaus. Ich gehe noch einmal auf den berühmten Molo Audace hinaus, die berühmte Mole, an der heutzutage keine Schiffe mehr anlegen, gehe dann im Nieselregen die Uferpromenade entlang, an der Stazzione Marittima vorbei bis zu dem alten Bahnhof am westlichen Ende der Bucht, der jetzt ein Eisenbahnmuseum ist. Von dort aus gehe ich landeinwärts, bergauf und verlaufe mich in irgendwelchen Stadtvierteln, wie ich es immer gerne und mit voller Absicht tu, wenn ich eine neue Stadt kennenlerne.
Schließlich lande ich über Umwege wieder in der Fußgängerzone, gehe zum Hotel zurück und ruhe mich in der wunderbaren Lobby aus.

Der Bus nach Miramare

Ich will nach Miramare.
Dazu muss ich herausfinden, wie man da hin kommt. Mit dem Bus, ist die einheilige Meinung. Und wie funktionieren die Busse?
Ich finde einen Bus. Der hält an der Haltestelle an, ich frage den Fahrer und die Richtung stimmt.
Ich setze an, einzusteigen und hole meine Brieftasche hervor – das meiner Ansicht nach weltweit international eindeutige Zeichen dafür, dass ich irgend etwas käuflich erwerben möchte, in diesem Falle also eine Fahrkarte.
Der Fahrer schaut mich streng an und winkt mit dem Zeigefinger ab: „No Tickets!“ – und wo gibt’s welche? Der Fahrer macht eine Vage Bewegung in irgendeine Richtung, schließt die Tür und dieselt davon.
Ich gehe zum Hotel zurück und frage die junge Frau an der Rezeption.
Sie erklärt mir, dass man die Bustickets im Tabakladen kauft und weist mir umständlich den Weg zur nächstgelegenen Verkaufsstelle.
Ich gehe stattdessen zum Bahnhof, das ist zwar vermutlich weiter, aber immerhin weiß ich, wo der ist. Da gibt’s auch einen Tabaksladen und der hat auch Busfahrkarten und der Mann hinterm Tresen kann mir auch sagen, welche Buslinie ich benötige…. nach längerem Suchen finde ich dann tatsächlich auch eine entsprechende Haltestelle.
Die Haltestelle befindet sich vor einem Cafe. Vor dessen Tür stehen – wie inzwischen überall im Land üblich – zwei Bistrottische mit Aschenbechern, da man drinnen ja nicht mehr rauchen darf. Auf einem Barhocker hockt ein Mann und raucht. Und redet. Und redet agitiert mit sich selbst oder mit irgendwem oder mit niemandem, manchmal steht er auch auf, geht ein paar Schritte, geht dann wieder zurück, raucht und redet weiter.
Ich bemühe mich, seine Aufmerksamkeit nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen.
Dann gesellt sich eine junge Frau zu mir. Eine Italienerin afrikanischer Herkunft. Ob der Bus schon gekommen ist, fragt sie mich. Nee, sonst stünde ich ja wohl kaum mehr hier, oder? Sie schaut auf den Fahrplan, schaut auf ihr Handy, schaut auf die Straße, schaut in die Richtung, aus welcher der Bus kommen müsste, schaut erneut auf den Fahrplan. Nein, der Bus ist schon vorbei! Oder doch nicht? Nein, der Bus ist schon vorbei!
In einer Viertelstunde kommt der Nächste. Steht so im Fahrplan. Oder auch nicht? Irgendwann wird er schon kommen….

Schloss Miramare, Blick von der Terrasse nach Norden

Miramare im Regen

Die Haltestelle, an der ich aussteige heißt „Miramare‟. Oder so ähnlich. Aber das Schloss ist nirgendwo zu sehen und es gibt kein Schild und keinen Weg. Die Straße führt in Serpentinen hinunter ans Meer. Da ist eine kleine Bucht mit Segelboothafen, ein Restaurant, ein Hotelgebäude und ein Bus – derjenige, mit dem ich gekommen bin. Es scheint sich um die Endstation zu handeln.
Wenn das Schloss hier nicht ist, dann muss ich daran vorbei gefahren sein, also setze ich mich in den Bus und warte. Neben mir rauscht das Meer.
Ich fahre zwei Stationen, steige aus und finde jetzt tatsächlich eine Uferpromenade, die zum Schloss Miramare führt. Das Gebäude sieht man allerdings erst nach der nächsten Wegbiegung.
Es beginnt zu regnen und ich begebe mich in den Andenkenladen, erstehe eine Postkarte und einen Kupferstich, dann hört der Regen auf und ich gehe durch den Park. Das Café hat leider geschlossen.
Ich gehe die Uferpromenade entlang. Eine junge Italienerin überholt mich, dann überhole ich sie, als sie auf ihrem Handy tippt, dann überholt sie mich wieder, als ich auf meinem Handy tippe, dann überhole ich sie wieder.
Hinter dem Pinienwäldchen ist die Promenade zu Ende, da ist eine Bushaltestelle und zwei Leute warten schon. In sieben Minuten müsste ein Bus gehen.

Triest: Die Risiera di San Sabba

Der Bus fährt durch hässliche Vorstädte, durch Industriegebiete, Straßen auf Stelzen, enge Gassen in Wohngebieten… ich habe keine Orientierung. Weiß auch gar nicht, wo ich aussteigen soll. Irgendwann kommt ein großes Fußballstadion… dort in der Nähe soll es wohl sein, und dann ist auch schon Endstation.
Wo muss ich jetzt hin? Irgendwo entdecke ich ein Schild.
An der breiten, verkehrsreichen, hässlichen Straße ist fast eine Art Vorstadtidyll: Cafes, Leute sitzen an der Straße, kleine Geschäfte… Am Himmel sind Wolken, düstere Gewitterwolken von Osten her. Ich gehe die Straße entlang, orientiere mich an den Bushaltestellen und den Anzeigen darauf. Ich will in einen Bus einsteigen, aber der Fahrer deutet nach links, da ist es doch schon!
Natürlich gibt es kein Schild.
Ich betrete ein häßliches Industriegebäude: Backsteinmauern, erdrückende neue Betonmauern, ein enger Gang. Enge Gefängniszellen, enger als Ställe. Die Todeszelle. Der Saal, in dem die Gefangenen der Zwangsarbeit nachgehen mussten. Im Hof markiert ein flaches Wasserbecken den Standort des ehemaligen Krematoriums. Eine die Betonsäule symbolisiert den Kamin, ein eisernes Denkmal symbolisiert den aufsteigenden Rauch.
In der Halle sind Dokumente von Gefangenen ausgestellt, Briefe, Photos… in einer weiteren Halle werden Filme gezeigt. Erdrückende Gegenstände: ein Hammer, mit dem Menschen erschlagen wurden. Weitere Photos, Dokumente… alles nur schwer zu ertragen.
Ich verlasse den Ort in der Hoffnung, dass sich so etwas nie wieder wiederholen darf…

Wunderbares Miramare

Ich gehe durch den Park, hinauf bis zum oberen Ende. Eine Frau führt ihre Katzen spazieren, es sind mindestens vier Stück. Das wunderbare Café im Park hat jetzt geöffnet. Ich trinke einen Cappuccino. Es nieselt leicht, aber es ist nicht kalt, fast schon wie Frühling.
Es gibt einen verwunschenen Hafen, einen verbotenen Strand und einen Bahnhof, an dem so gut wie nie ein Zug hält (aber viele Züge rauschen hindurch).

Bahnhof Miramare

Ein Abend im Teatro Rossetti in Triest

Das Theater liegt etwas abgelegen am Rande der Innenstadt. Natürlich habe ich mir den Weg auf dem Stadtplan genau angeschaut, aber dann lande ich doch zunächst am Justizpalast und dann an der Synagoge, entdecke zwischendurch noch ein wunderbares Cafe und finde schließlich die lange, schmale Straße, in der das Nachtleben tobt und an deren oberem Ende das Theater liegt.
Die Kasse ist geöffnet.
Ich versuche mein Glück. Auf Italienisch. Oder was ich dafür halte.
„Eine Karte bitte!“
Die Dame hinter der Glasscheibe schaut mich mit großen Augen an. Also mit diesem amüsierten Blick, mit dem man Menschen anschaut, die nicht so ganz richtig im Kopf sind.
„Jaaaaaa?“
„Äh…. für heute vielleicht?“
Immer noch dieser amüsierte Blick.
„Soso… für heute!“
Sie verdreht die Augen.
„Äh…. ja?! für Heute!“
„Okay, dann suchen Sie sich mal einen Platz aus!“
Ich starre sie an wie ein Auto.
Sie deutet auf den Bildschirm, der in dem Fensterchen in meine Richtung zeigt.
„Alle grünen Plätze sind noch frei!“
„Ähem…. und was kosten die?“
Sie lässt sich dazu herab, mir zu erklären: Die guten Plätze im Parkett für fünfundzwanzig Euro, oben gibt’s welche für zwanzig und sogar auch welche für zwölf Euro.
Bingo! Nehme ich doch einen für zwölf. Im Internet hätte es welche für zwanzig, vierzig oder sechzig Euro gegeben.
Karte ist gekauft, ich habe noch anderthalb Stunden Zeit und jetzt brauche ich unbedingt etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Stolz wie Oscar betrete ich die Bar gegenüber und genehmige mir ein Bier und ein Tramezzino
Und dann suche ich das tolle Cafe von vorhin auf. Da gibt’s nicht nur Kaffee, sondern auch Bücher und zum Espresso bekomme ich ein kleines Stückchen Kuchen.
Dann gehe ich wieder zum Theater zurück. Inzwischen ist da eine Menge los: viele junge Leute und Jugendliche drängen sich vor dem Eingang.
Das Foyer ist schnörkellos und unspektakulär. Im gläsernen Aufzug geht es hinauf – mein billiger Platz ist auf dem zweiten Balkon. Die Leute sind durchweg leger gekleidet, meine Krawatte, die ich mir vorhin noch schnell umgebunden habe, war definitiv nicht nötig. Es gibt keine Garderobe, fast alle Zuschauer nehmen ihre Mäntel mit in den Saal.
Innen ist das Theater fröhlich bunt, fast kitschig, mit schnörkeligen Eisensäulen und einer Deckenkuppel, die mit Wolken und Sternenhimmel bemalt ist. Ein richtiges Volkstheater. Die Stimmung erinnert ein wenig an einen Zirkus.
Die Bühnendekoration ist simpel: ein Etwas, das wohl eine Art Schiff darstellen soll, ein Klavier. Das ist alles.
Fröhliches und aufgeregtes Stimmengewirr im Saal. Dann geht das Licht aus, die Sterne am Sternenhimmel funkeln und es geht los.
Ich verstehe kein einziges Wort. Aber die Stimmung ist großartig. Es wird gesungen, getanzt und ziemlich viel gelacht. Die Kostüme und der Stil erinnern ein wenig an die Comedia del Arte, dem Titel nach scheint es sich um eine ziemlich freie Interpretation von Shakespeare’s Othelo zu handeln. Ab und zu schnappe ich ein paar Worte auf und die Melodien kommen mir bekannt vor, so ziemlich alles vom Italo-Pop über Rock bis hin zu Klassik-Schnulzen kommt vor und wird mit neuen Texten versehen, vermutlich handelt es sich um Satiren, denn immer wieder wird herzlich gelacht.
Zwei Stunden lang geht es ohne Pause durch, dann tobender Applaus und die Menschenmassen wälzen sich wieder auf die Straße hinaus, die langgezogene Straße entlang, in der das Nachtleben tobt.
Ich gehe noch einmal hinunter ans Meer, wo die Wellen sanft gegen den Molo Audace rauschen…

Mittelmeer und schneebedeckte Alpengipfel

Der Himmel ist blau und die Sonne scheint und ich gehe zum Molo Audace hinaus.
Einheimische haben Handys und Kameras dabei, deuten aufs Meer hinaus und knipsen, was das Zeug hält: Dort hinten sieht man, klar und deutlich, schneebedeckte Alpengipfel.
Kommt das hier öfters vor? Ich gehe in die Stadt, die steilen Gassen der Altstadt hinauf zu der Kathedrale und fotografiere: Sonne, Meer und schneebedeckte Berge. In Neuseeland würde ich so etwas erwarten oder vielleicht noch an der kanadischen Pazifikküste… aber am Mittelmeer? Im Februar?
Und dann muss ich auch schon los, kaufe noch ein wenig ein, mache mich auf den Weg zum Bahnhof, erwerbe ein Ticket und erreiche den Zug verschwitzt und außer Atem in letzter Minute…

Zurück zu Teil 2 (von Wien über den Brenner nach Triest) / Weiter zu Teil 3: Sonne und Acqua Alta in Venedig / Zur Übersicht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert