Schon frühmorgens ist es ziemlich heiß. Dennoch fühle ich mich herrlich entspannt. Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Bus an den Strand und spaziere eine Weile lang am Wasser entlang, zwischen Badenden und spielenden Kindern. Ich gehe weiter, klettere über Wellenbrecher, flaniere am Jachthafen entlang und gehe dann hinauf in die Altstadt. Diese Stadt hat keine Schokoladenseite, keine Vorzeige-Wasserfront, kein Panorama: es gibt zwar das Casino und die Promenade, es gibt die Marina, den Hafen und den Ovid-Platz, aber unmittelbar neben den schönsten Ecken der Stadt zeigt sich der Verfall, gleich neben wunderschönen Villen bröckelt der Beton, daneben stehen verfallende Bausünden aus den 1970er Jahren und dazwischen als Parkplätze genutzte Baulücken. Gleich neben dem wunderschönen Museumsgebäude in einer kleinen Grünanlage stehen Ausgrabungsgegenstände einfach so herum: Sarkophage und Säuenreste, und daneben steht Ovid in Denkerpose.
Das Faszinierende an dieser Stadt ist die Vielfalt: schon gestern beim ersten Blick auf die Altstadt orthodoxe Kirche neben der Moschee, Häuser mit griechischen Inschriften neben der armenischen Kirche, dazwischen Tartaren, Türken und Bulgaren, irgendwie hat hier jeder seine Spuren hinterlassen.
Ich gehe zum Bahnhof zurück, schleppe meinen Koffer durch die großzügige Bahnhofshalle durch den Durchgang zu den Gleisen. Der Zug steht schon bereit. Halt! Ist das wirklich der Interregio nach Bukarest?
Da steht ein funkelnagelneuer Triebwagen von der Sorte, wie er bei uns im Nahverkehr zum Einsatz kommt, aber es gibt tatsächlich reservierte Sitze – und eine funktionierende Klimaanlage. Die bläst mit voller Kraft.
Es geht los, am Donau-Schwarzmeer-Kanal entlang, vorbei an Binnenschiffen, dann über die Donau und mit – für rumänische Verhältnisse – Lichtgeschwindigkeit durch die abgeernteten Felder der Walachei.
In Bukarest hat es 33 Grad. Ich steige aus, fahre mit der Metro zum Hotel, und dann sehe ich zum ersten Mal diesen riesengroßen Parlamentspalast, diesen gigantomanischen Klotz, für dessen Bau Ceaucescu seinerzeit ein ganzes Stadtviertel hat abreißen lassen. Jetzt steht dieses Ding halt da, im stalinistischen Zuckerbäckerstil, zweit- oder drittgrößtes Verwaltungsgebäude der Welt.
Und links nebenan steht eine Kirche. Die ist riesengroß, aber mein Reiseführer verliert kein Wort darüber. Und was sagt Google? Hier entsteht die größte orthodoxe Kathedrale der Welt, mit dem Bau wurde 2010 begonnen und die Fertigstellung sollte eigentlich dieses Jahr erfolgen, es dauert aber noch.
Mit Superlativen ist man wohl nicht kleinlich in dieser Stadt.
Was gibt’s hier sonst noch zu sehen? Ich gehe einfach mal los und finde mich nach einer Weile auf einem breiten Boulevard wieder. Die Autos donnern vier- bis sechspurig an mir vorbei, weit und breit ist kein Übergang zu sehen. Da sind moderne Hotelhochhäuser, repräsentative Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert und zwischendurch immer wieder kleine alte Kirchen. Ein riesengroßer Platz dient als Parkplatz, Bänke hingegen sind nirgendwo zu entdecken.
Erst vor dem berühmten Athenäum – einem Konzertgebäude aus dem 19. Jahrhundert – finde ich eine Grünanlage mit Sitzgelegenheiten. Durch Nebenstraßen gelange ich zu dem schönen Universitätsplatz mit Denkmälern und ohne Autos – stattdessen gibt’s Lokale mit Musikbeschallung, hier beginnt das Kneipenviertel. In der Fußgängerzone ist ein Lokal neben dem anderen, mit und ohne Musik, überall Menschen, hektisches Gedränge, vor den Restaurants wird man angesprochen, ich fühle mich wie auf der Reeperbahn, zumal es durchaus auch zwielichtig aussehende Lokalitäten gibt, dazwischen aber auch Kirchen und historische Gebäude.
Ich drehe mich im Kreis, lande in einem etwas bodenständigerem Lokal mit Biergartentischen und Selbstbedienung, das Bier ist hier immer noch deutlich teurer als anderswo im Land, aber die Atmosphäre etwas entspannter.
