Mit schwerem Koffer im Schlepptau mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Es ist warm, ich brauche keine Jacke. Der Zug steht bereit, es geht los, Landschaft fliegt vorbei. Umsteigen in München: der Hauptbahnhof ist ein Alptraum! Ich habe jetzt zwei Projekte: erstens einen Rumänien-Reiseführer zu ergattern und zweitens einen Kaffee. Aber Beides ist gar nicht so einfach. Das Empfangsgebäude wird gerade abgerissen und neu gebaut, alles ist provisorisch und abgesperrt, es gibt gar keine richtige Bahnhofshalle mehr, nur viel zu enge Durchgänge nach links und nach rechts, lange Schlangen vor den ungemütlichen Verpflegungsbuden und in dem winzigen klaustrophobisch-engen Zeitungs-und-Kramladen-Kiosk gibt’s so gut wie gar nichts. Die Buchhandlung im Untergeschoss verdient zwar ihren Namen und es gibt zwar ein ganzes Regal voller Reiseführer, alfabetisch sortiert, aber unter „R“ finde ich auf einem knappen Regalmeter nur alles Mögliche über Rom oder Rhodos. Nix über Rumänien. Sieht ganz danach aus, als wolle da niemand hin!
Immerhin einen Kaffee kriege ich gegenüber in dem schmierigen Mini-Supermarkt. Ich balanciere meinen Pappbecher die Rolltreppe hinauf zum Zug nach Salzburg. Der Zug rollt durch das Chiemgau am Alpenrand vorbei, über den Bergen hängen dunkle Wolken. In Salzburg leichter Nieselregen. Die Schließfachanlage ist mir zu kompliziert, also rolle ich den Koffer durch konturlose Stadtlandschaften, verlaufe mich, und als ich endlich endlich den Anfang der Linzer Gasse erreiche, kehre ich im ersten Kaffeehaus ein. Ein Kleiner Brauner, auf einem Tablettchen nebst einem Glas Wasser. Immer noch leichter, warmer Nieselregen, aber unter der Markise bleibe ich trocken. Ich habe ja Zeit.
In einer Seitenstraße finde ich endlich auch eine richtige Buchhandlung und da gibt’s ganz viel Literatur über Rumänien, am liebsten hätte ich den halben Laden aufgekauft, aber mein Koffer ist auch jetzt schon schwer genug.
Es bleibt noch Zeit für einen zweiten Kaffee am Mirabell-Platz, dann steige ich in den Railjet nach Budapest. Und jetzt brauche ich fünf Stunden lang gar nichts mehr zu tun. Ich döse an Linz und an Wien vorbei und bei Bruck an der Leitha mache ich mich auf den Weg zum Speisewagen, gönne mir ein Bier, während der Zug die Grenze überquert. Ich ziehe einen dicken Briefumschlag aus der Tasche, voll mit Münzen und Scheinen einer mir exotisch erscheinenden Währung. Hinter Györ geht es ein Stück an der Donau entlang, das andere Ufer gehört schon zur Slowakei.
Kurz vor neun Uhr abends komme ich im letzten goldenen Dämmerlicht in Budapest-Keleti an. Die tropisch warme Luft eines südländischen Sommerabends schlägt mir entgegen. Dieser wunderschöne Bahnhof ist tatsächlich ein wunderbarer Sehnsuchtsort, ein wunderbarer Ort zum Ankommen.
Ich finde mein Hotel, checke ein und mache mich auf den Weg durch die inzwischen dunklen, aber immer noch schwülwarmen Straßen der Stadt, vorbei am eleganten „Café New York“ – hierfür bin ich definitiv zu underdressed, also überquere ich die Ringstraße, und gelange ins Kneipenviertel. Interessanterweise feiert man lieber drinnen im klimatisierten Innenraum als draußen auf der Straße.
Als ich mein Langos bezahlen will, schüttelt der junge Mann hinter dem Tresen den Kopf: diese Scheine seien schon seit Jahren nicht mehr gültig! Wo ich die den her habe? Von meinem letzten Aufenthalt, sage ich. Was sich denn verändert habe seither, will er wissen? Nun ja, viel habe ich jetzt noch nicht gesehen, aber die Stadt erscheint mir bunter und lauter – und teurer.
Gleich nebenan ist das „Szimpla Kert“, früher mal ein echter Geheimtipp, eine Bar, die in der Ruine einer ehemaligen Textilfabrik eingerichtet wurde, heute eine der angesagtesten Party-Locations, die in jedem Reiseführer verzeichnet ist. Natürlich inzwischen mit Türsteher, aber der stämmige Mann dunkler Hautfarbe winkt mich lässig durch.
Das Ruinen-Image wird immer noch sorgfältig gepflegt, aber alles andere ist topmodern, das Bier bezahlt man mit Karte, kostet 5 Euro, plus zehn Prozent Trinkgeld, was automatisch draufgeschlagen wird, wenn man es am Kartenlesegerät nicht wegdrückt.
Irgndwo spielt eine Band, anderswo laufen Videos, irgendwo legt auch ein DJ auf. Es gibt zahllose Räume und Flure, hinter jeder Ecke sieht es anders aus.
Das ehemalige Judenviertel hat sich in eine endlose Party-Meile verwandelt, alles ist schick und modern, Streetfood, Leuchtreklamen, dazwischen eine Synagoge und zwei koschere Restaurants.
Vom Deak Ter nehme ich die Metro zurück zum Bahnhof, finde noch eine nette Kneipe, komme mit einem einheimischen Mann mittleren Alters ins Gespräch, wie es mit diesem Land wohl weitergeht, er hat lange genug im Ausland gelebt, mag keine Bevormundung und die Einstellung der Leute in den Niederlanden habe ihn beeindruckt.
Kurz vor 12 verabschieden wir uns mit Händedruck und ich begebe mich zurück ins Hotel.
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