Der Zug nach Osten geht erst am Nachmittag, es bleiben also ein paar Stunden Zeit, um sich in Warschau ein wenig umzuschauen.
Mit Straßenbahn und Bus in die Altstadt: die wurde bekanntlich im zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen fast vollständig zerstört, nachdem sich die Bevölkerung gegen die Besatzer erhoben und der Aufstand brutal niedergeschlagen worden war. Nach Ende des Krieges hat man sie wieder aufgebaut, so originalgetreu wie möglich, und das ist erstaunlich gut gelungen. Ein eher unscheinbares Denkmal in der Nähe des Marktes erinnert an diese enorme Leistung. Gassen mit Kopfsteinpflaster, pastellfarbene Häuser mit Giebeln, Torbögen und Kirchen: alles sauber und ordentlich und trotzdem authentisch.
Weiter mit der Straßenbahn in den Süden der Stadt: Wir wollen zum Łazienki-Park, dem „Park der Bäder“ mit dem berühmten „Inselpalast“. Nach einem langen Fußmarsch durch Großstadtdschungel mit Autolärm und Benzingestank gelangen wir tatsächlich zu einer Art Promenade, über die zahlreiche Spaziergänger schlendern, der Park aber – offensichtlich ein beliebtes Naherholungsgebiet – ist ausgerechnet heute nicht zugänglich. Geschlossen wegen warum auch immer.
Zum Trost also in den Botanischen Garten: ein wunderschönes Kleinod mit Ginkobaum, Rosen, Zierteichen und schattigen Bänken.
Zurück in die Innenstadt: Durch Zufall finden wir eine „Bar Mleczny“, eine der wenigen verbliebenen Exemplare dieser in sozialistischer Zeit sehr populären Kantinen, in denen es für wenig Geld deftige polnische Hausmannskost gab – und zwar überwiegend vegetarisch.
Gestärkt bleibt noch Zeit für einen Bummel über die Ulica Nowy Świat, die „Neue Welt-Straße“, eine Fußgängerzone mit zahlreichen Cafés und Restaurants. Auch die Gebäude an diesem Boulevard wurden nach den Zerstörungen des Krieges wieder aufgebaut – allerdings nicht im Stil der Gründerzeit- und Jungendstilbauten der Vorkriegszeit sondern im Rückgriff auf den Klassizismus des 19. Jahrhunderts.
Mit der Metro geht zum Kulturpalast und dann zu Fuß zum Zentralbahnhof.
Um 16:40 Uhr geht unser Zug nach Suwalki: einer von zwei Fernverkehrszügen am Tag, die diesen Ort im äußersten Nordwesten des Landes ansteuern.
Unten auf dem Tunnelbahnsteig ist es drückend heiß und stickig. Der Zug kommt pünktlich und besteht – wie gestern auch – aus Abteilwagen mit 6er-Abteilen und ist ebenso ziemlich voll besetzt.
Gut zwei Stunden lang geht es rasch und zügig, fast schnurgeradeaus durch flaches Land. In Białystok dann ein längerer Halt, hier wird die Elektrolokomotive abgespannt. Mit einer Diesellokomotive geht es nun erheblich langsamer voran. Dafür ist der Zug jetzt erheblich leerer geworden.
Jetzt wird auch die Landschaft abwechslungsreicher, im Abendlicht geht es durch Wald und an Seen vorbei, wir befinden uns geographisch gesehen am östlichen Rand der Masurischen Seenplatte.
Im letzten Tageslicht erreichen wir Suwalki. Endstation. Die Grenzen zu Litauen und zur russischen Enklave Kaliningrad sind nur wenige Kilometer entfernt.
Tapfer rollern wir unsere Koffer die Straße entlang in die Stadt, finden das Hotel, checken ein und – o Wunder! – finden tatsächlich eine ganz nette Pizzeria, die noch geöffnet hat. Und mehr noch: gestern ist hier ein Blues-Festival zu Ende gegangen, wohl das Größte seiner Art in Polen, da war hier richtig was los!
Am nächsten Morgen, bei Tageslicht an einem strahlend schönen Sommertag, zeigt sich Suwalki von seiner besten Seite. Die breite, von Bäumen gesäumte Hauptstraße ist von klassizistischen Gebäuden gesäumt, maximal zwei bis drei Stockwerke hoch und dadurch angenehm entspannt wirkend, es gibt einen zentralen Park – in welchem gerade noch eine Bühne vom Blues-Festival abgebaut wird –, ein Rathaus, ein paar Kirchen und eine kurze Fußgängerzone mit einem „Walk of Fame“ der hier aufgetretenen Bluesmusiker und ihrer Sponsoren.
Mittags geht’s dann zurück zum Bahnhof: die abenteuerlichste Episode dieser Reise erwartet uns.