Ein paar Stunden Schweden: Ein Frühlingstag in Malmö (Mai 1999)

Malmö Hauptbahnhof. Ich bin also mit dem Bus angekommen.
Als erstes schaue ich mir mal den Bahnhof an: ein Kopfbahnhof, Endstation, oder Anfang, je nachdem, wie man es sieht. Alle Wege führen nach Norden. Es gibt einen Superschnellzug nach Stockholm und von dort geht’s weier bis über den Polarkreis. Ob der Eishockeyfan hier inzwischen auch angekommen ist? Wie mag er wohl seinen Tag verbringen? Egal. Jetzt interessiert mich zunächst einmal, wie ich diesen Tag verbringen werde. Und wie ich heute Abend nach Trelleborg zurückkomme. Auf dem Fahrkartenautomaten ist Trelleborg nämlich nicht verzeichnet. Das ist verdächtig.
Es gibt tatsächlich keine normalen Züge nach Trelleborg, sondern nur die durchgehenden Züge auf die Fähre. Tickets nach Trelleborg gibts nur in Verbindung mit dem Fährticket. Es bedarf einiger Überredungskunst, die Dame am Fahrkartenschalter dazu zu bewegen, in meinem dicken Bündel von Fahrscheinen einen davon als Fährticket anzuerkennen.
Draußen, gegenüber vom Bahnhof ist ein Fährterminal, von dem aus gerade ein schnelles Tragflügelbot nach Kopenhagen startet. Stimmt, das liegt ja auch direkt um die Ecke. Ob ich mal auf einen Sprung rüberfahren soll? Nix da, jetzt ist Schluss, jetzt schaue ich mir erstmal Malmö an.
Ich laufe ein wenig unschlüssig herum und vergleiche Preise. Der Kaffee im Bahnhofsrestaurant kostet zwanzig Kronen. Eine Postkarte nach Deutschland sieben. Ein Schließfach zehn. Ganz schön teuer alles. Das Preisniveau liegt wohl noch ein Stück über dem englischem Niveau, wo schon alles viel, viel teurer ist als in Deutschland. Die Frage ist, wie man den Wechselkurs betrachtet: 10 Kronen sind ziemlich genau 2 Mark 50, oder etwas weniger als 1 Pfund, aber von der Kaufkraft her deutlich weniger als 1 Pfund.
In der Tourist Information gibts ganz umsonst ein dickes Bündel Broschüren und sogar einen brauchbaren Stadtplan.
Ganz besonders stolz sind sie wohl auf ihre Brücke. Jene Brücke soll demnächst mal Malmö mit Kopenhagen verbinden und die schönen Tragflügelboote überflüssig machen. Und weil sie gerade dabei sind, bauen sie gleich noch einen Tunnel vom Brückenkopf durch die Innenstadt bis zum Bahnhof.
Also gut, dann schau ich mir mal die Stadt an.
Da gibt es eine Fußgängerzone und einen ziemlich großen Platz, mit Bäumen und mehreren Denkmälern. Drumherum stehen Steinhäuser, die für die Ewigkeit gebaut sind, vom Stil her nicht anders als in einer norddeutschen Großstadt, vielleicht noch etwas solider, klarer, aufgeräumter und sauberer, aber vielleicht habe ich da auch bloß ein Klischee im Kopf. Die Läden, Steakhouse- und Burgerketten sind genauso wenig unbekannt, das könnte genauso gut auch in England sein oder anderswo. Nur die die Sprache ist unbekannt. Wirklich? Letztendlich scheint sie nicht mehr und nicht wenige exotisch als holländisch, geschrieben kann man sogar das eine oder andere Wort erraten: „Stortorget“ heißt soviel wie „großer Platz“, dazu braucht man nun wirklich kein Wörterbuch.
Die Fußgängerzone geht am anderen Ende des Platzes weiter. Der Gustaf-Adolf-Torget sieht so aus, als ob hier abends gut was los sein könnte. Es gibt Baustellen, einen Friedhof und einen Park, mitten darin ist die Stadtbibliothek, aber die ist noch geschlossen.
Ich nehme auf einer Parkbank Platz. Es ist kühl, der Himmel ist bewölkt. Auf dem Teich quaken Enten. In der Mitte des Teiches plätschert ein künstlicher Wasserfall von einem vielleicht zwei Meter hohen Felsen. Ein Rentner schiebt sein Fahrrad vorbei, Vögel zwitschern, es ist kühl und ich fühle mich irgendwie übernächtigt.
Was mache ich hier eigentlich, auf einer Bank in einem Park in einer fremden Stadt in einem fremden Land?
Ich knabbere ein paar Kekse. Hinter mir tobt der Verkehrslärm einer großstädtischen Durchgangsstraße. Ein Presslufthammer hämmert und zwei Enten kommen näher und schnappen nach meinen Kekskrümeln. Eine junge Mutter schiebt einen Kinderwagen vorbei. Ich gähne. Dieses fremde Land ist doch weniger exotisch als befürchtet und erwartet.
Die Wolken werden dunkler und just als die Bibliothek öffnet, beginnt es zu regnen, gutes Timing, kaum bin ich drin, da schüttet es auch wie aus Kübeln. Wie um Himmels Willen soll ich bloß noch die restlichen Stunden in dieser Stadt herumkriegen?
Ich entdecke einen öffentlichen Internetcomputer und nehme Platz. Die schwedische Tastatur und Browsereinstellung ist eine gewisse Herausforderung, aber im Grunde ist es ja überall gleich und nach ein paar Systemabstürzen finde ich mich zurecht. Da sitze ich also in einem fremden Land, in einer fremden Stadt und schreibe Emails nach England.
Das hat schon etwas Dekadentes. Irgendwie verrückt. Hier in der Bibliothek kann ich mich jedenfalls häuslich niederlassen. Neben mir sitzt ein Typ mit Krawatte, schräg gegenüber ein ziemlich junges Mädel.
Ich übe mich in soziologischen Studien. These Eins: Nicht alle Schwedinnen sind blond. In der Tat gibt es hier ziemlich viele Menschen die aussehen, als hätten sie ausländische Wurzeln. These zwei: Nicht alle Blondinen sind hübsch. Manche schauen ziemlich böse drein. Und These drei: Es gibt auch hübsche, Nicht-blonde Schwedinnen. Schade, daß mein Schwedisch nicht zum Flirten ausreicht, genaugenommen sind meine Schwedisch-Kenntnisse sogar exakt gleich null, aber erstaunlich viele Worte hier lassen sich erraten.
Als sich der Himmel aufklart, gehe ich nach draußen und spaziere durch weitläufige Parks. Die Parks sind von Wasserläufen durchzogen, man muß aufpassen, wo man landet, nicht überall gibts Brücken. Aber der kostenlose Stadtplan von der Tourist Information leistet gute Dienste.
Im Park gibts eine Windmühle und ein Art Schloß, das sehe ich aber nur von hinten, finde mich dann vor einem Technik-Museum wieder, überquere eine Straße, laufe über eine Wiese und stehe dann am Meer.
Naja, was man hier halt so als Meer bezeichnet. Eine Uferbefestigung aus groben Steinbrocken, rechter Hand Hafenanlagen und linker Hand…. da ist sie, jene legendäre Brücke.
Ein Stück Fahrbahn ist schon fertig, ein Hauptpylon, mehrere Pfeiler, die im Nichts enden, irgendwo mittendrin eine künstlich aufgeschüttete Insel.
Drüben, nicht allzuweit weg ist die dänische Küste. Oder das dänische Ufer. Wirklich, man kann fast rüberspucken, das Ganze wirkt eher wie ein breiter Fluß als ein Meeresarm. Liegt da auf der anderen Seite schon gleich Kopenhagen?
Ich drehe um, gehe zurück in Richtung Stadt und lande auf dem Friedhof.
Ein uralter Friedhof mit Bäumen und Grabsteinen aus dem letzten Jahrhundert, eher ein Park. Und gleich nebendran ist der Gustaf-Adolf-Torget, der Platz, an dem das Kneipenleben tobt.
Ich teste die lokale Gastronomie.
Die Falaffel im Triangelen-Shopping Centre ist ganz okay, billig und deutlich milder gewürzt als erwartet.
Irgendwo finde ich auch ein passables Café.
Ich streife durch die Fußgängerzone. Nicht, daß ich in den großen Kaufrausch verfallen würde, aber mein Schreck über die exorbitanten Preise legt sich bei näherem Hinsehen ein wenig.
Auf dem Stortorget findet eine Demonstration statt, es geht um den Krieg im Kosovo. In den Kinos laufen dieselben Filme wie überall sonst auf der Welt. Es gibt ein paar schöne, alte Kinos.
Aber muß ich mir jetzt einen schwedisch synchronisierten Holywoodschinken reintun?
Ich habe noch ein wenig Zeit und streife lieber durch das Kneipenviertel.
Da ist eine Gruppe giggelnder junger Frauen, eine trägt eine Art Brautkleid und muss irgendwas singen. Also wiedermal eine ethnologische Studie: These eins: Sie ist einfach besoffen. These zwei: Es handelt sich um einen lokalen Hen-Night Brauch, entfernt verwandt mit dem deutschen Polterabend. These drei: Beide Thesen schliessen einander nicht aus.
Es ist ein angenehm milder Frühlingsabend und ich beschließe, daß Malmö mir gefällt. Ich schreibe ein paar Postkarten und mache mich dann auf den Weg zum Bahnhof.
Der Zug steht schon bereit.

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