Von Malmö über Berlin und Düsseldorf nach London zurück (Mai 1999)

Malmö Centralstation, um neun Uhr abends.
Der Zug nach Berlin steht schon bereit und besteht aus deutschen Interregio-Waggons, die hier ziemlich fremdartig wirken. Ich steige ein und es geht los, vorbei an einem Rangierbahnhof, in dem ein schwedischer Hochgeschwindigkeitszug steht. Rechter Hand liegt die Stadt, da ist ein Kirchturm mit einem grünen Kupferdach, das habe ich noch gar nicht gesehen: es gibt viele Teile der Stadt, die ich gar nicht kennen gelernt habe in den wenigen Stunden, die ich hier verbracht habe. So muss es wohl auch noch eine richtige Altstadt geben, irgendwo, wo auch immer.
Wir fahren durch die Außenviertel, vorbei an lokalen Bahnstationen, deren Schilder in einem zarten Violett beschriftet sind. Der Zug wird schneller, auf einer eingleisigen Strecke, durch grüne Felder und blühenden Raps, nichts Exotisches, ganz wie daheim.
Dann erreichen wir Trelleborg und jetzt beginnt das umständliche Rangiermanöver. Das hat was, ich schaue gerne zu. Zunächst parkt unser Zug in einem Bahnsteig mit einem Bahnsteigschild: „Trelleborg F“, wobei das „F“- wohl für „Fähre“ steht.
Am Nebengleis steht ein anderer Zug, der wohl gerade aus Deutschland angekommen ist. Dann wird rangiert, unsere Lokomotive fährt vor den anderen Zug.
Dann wird nebenan ein Güterzug rangiert: Der befindet sich in mehreren Abschnitten im Bauch des Fährschiffes und wird stückweise da heraus rangiert. Zwischendurch fährt der andere Personenzug los in Richtung Malmö.
Dann kommt ein ellenlanger Güterzug von irgendwoher und wird langsam und stückweise aufs Schiff rangiert. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie dieser lange Zug in das Schiff passen soll, aber die Rangierlokomotive fährt kontinuierlich langsam vorwärts und nach und nach verschwindet tatsächlich der ganze Zug. Es geht noch ein paarmal hin und her, dann fährt die Rangierlok wieder weg, noch einen zweiten Güterzug holen. Das ganze Manöver dauert eine halbe, oder vielleicht auch eine Dreiviertel oder eine ganze Stunde. Zu guter Letzt wird unser Zug dann auch noch aufs Schiff geschoben.
Wir können aussteigen. Aber erst, wenn die Türen freigeschaltet werden.
Man kann auch im Zug bleiben, sagt die ältere Frau, die sich offenbar auskennt, mit anderen Leuten schwedisch spricht, wenn man will kann man die ganze Überfahrt auch im Liegewagen oder Schlafwagen hier unten verbringen, aber das wäre ihr doch zu unheimlich: immerhin befinden sich über den Bahnwagons erst noch eine Menge Autos, und dann erst die Passagierdecks. Sie fährt offenbar hier öfters hin und her und ärgert sich darüber, dass die deutsche Bahn schon wieder die Preise erhöht hat. Deshalb hat sie nur bis Bergen auf Rügen gelöst und fährt von dort aus mit dem Wochenendticket weiter. Übrigens wurden bis jetzt noch nirgendwo irgendwelche Fahrkarten kontrolliert.
Wir steigen aus und klettern über die Treppe nach oben aufs Passagierdeck. Es ist nicht dasselbe Schiff wie letzte Nacht. Hier ist es nicht ganz so grau, sondern etwas bunter. Gleich nachdem ich auf dem Liegesitz Patz genommen habe, bin ich eingeschlafen und wache erst kurz vor der Ankunft wieder auf.
Ich klettere wieder nach unten in den Zug, der rollt an Land, wird rangiert und fährt irgendwann los. Ich schlafe durch bis Berlin.
Um 6 Uhr 30 kommt der Zug in Berlin am Ostbahnhof an. Immer noch schlaftrunken steige ich aus und torkele durch den Bahnhof, da ist Baustelle. Die Bahnhofshalle wird generalsaniert. Das Reisezentrum ist behelfsmäßig in einer Baracke untergebracht. Typisch Berlin. Ganz Berlin ist eine einzige riesengroße Baustelle.
Am Computer suche ich nach Zugverbindungen: Wie komme ich heute Abend nach Düsseldorf? Ohne eine Entscheidung getroffen zu haben, steige ich in die nächste S-Bahn stadteinwärts. Interessanterweise fahren die alten beige-roten Wagen wieder, die eigentlich fast schon museumsreif sind. Die Bänke bestehen jetzt allerdings nicht mehr aus blankem Holz, sondern sind mit einem gräulichen Plastiküberzug versehen. Am Alexanderplatz steige ich aus.
Nach 2 Nächten On The Road fühle ich mich übernächtigt und dreckig, aber duschen und Klamotten wechseln, das kann ich erst frühestens heute Abend. Jetzt muss ich erstmal wachwerden und brauche jetzt erstmal einen Kaffee.
Am Ende der Bahnhofshalle finde ich eine Bäckerei. Die Frau hinterm Tresen bedient einen Stammkunden: „Tach, wieder da? Dasselbe, wie immer?“
Er kriegt einen Kaffee und ein Brötchen, dann bin ich an der Reihe und setze mich an einen der kleinen Tische.
Nebenan sitzt ein Typ mit Fahrradhelm, das schicke Mountainbike in Reichweite. Er zieht sein Handy aus der Tasche und ruft irgendwen an: „Bin jetzt hier am Alex im Bahnhof bei der zweiten Tasse Kaffee. Die Nacht war lang genug. Wie geht’s Ihrer Frau, ist die wieder draußen aus’m Krankenhaus?“
Dann suche ich die Schließfächer und finde da auch die sanitären Anlagen, das Klo heißt jetzt „McClean“ oder „Reisefrische“ und einmal pinkeln kostet eine Mark fünfzig.
Ich weiß noch immer nicht, was ich eigentlich vorhabe und marschiere erstmal am Fernsehturm vorbei – da residiert jetzt ein Privatsender – Unter den Linden entlang, über die Spree, vorbei an der Russischen Botschaft zum Hotel Adlon.
Am Brandenburger Tor gibt’s jetzt Fahrrad-Taxis auf festen Routen. Der Reichstag hat eine neue Kuppel, da oben laufen Leute herum. Kann man da rein?
Dort, wo früher die Mauer war, ist jetzt Baustelle. Eigentlich ist überall Baustelle, gegenüber vom Reichstag und am anderen Spreeufer auch. Da entsteht jetzt das neue Regierungsviertel.
Vor dem Eingang zum Reichstag ist eine kurze Schlange. Gestern Nachmittag ging die Schlange einmal um’s ganze Gebäude herum, sagt ein Ehepaar mittleren Alters. Es gibt eine Kontrolle wie am Flughafen, mit Metallgegenstände. In meiner Tasche habe ich noch eine handvoll schwedischer Münzen. Und ein Taschenmesser. Brauche ich dafür einen Waffenschein? Ich gebe es ab und kriege ein Märkchen dafür.
Vom Foyer aus führen gläserne Aufzüge nach oben. Vom Dach aus schaue ich über das morgendliche Berlin und seine Baustellen:
Im Norden ist der künftige Hauptbahnhof mit dem Tunnel-Loch, dann das Kanzleramt und die Ministerien oder was auch immer da hinkommen soll, dann das alte Ost-Zentrum mit der Allee Unter den Linden und dem Brandenburger Tor – hier hält sich die Bautätigkeit ein bisschen in Grenzen – bis zum Potsdamer Platz mit der knallroten Info-Box ein Stückchen weiter südlich, der wohl aktuell größten Baustelle Europas. Nach Westen hin dann der Tiergarten, das lokale Äquivalent des Londoner Hyde Parks, bloß viel buschiger und ungepflegter.
In der Mitte des Daches erhebt sich die legendäre Kuppel. In deren Mitte befindet sich ein Loch, umgeben von einer Metallbrüstung. Da sollen mal Schaukästen hin, aber die sind noch leer. Tief unten kann man schemenhaft unter dunklem Glas die Abgeordnetenbänke erkennen.
In der Mitte ist eine Spiegelsäule, oder besser gesagt ein nach oben hin immer breiter werdendes Gerät, welches überall mit Spiegellamellen besetzt ist. Ein Zungenförmiges Ding aus silbernen Metallstangen fungiert wohl als Sonnenschutz und bewegt sich kreisförmig um die Säule rum, immer am jeweiligen Sonnenstand ausgerichtet.
Am Rande der Kuppel führt eine wendelförmige Rampe nach oben und eine zweite Rampe kommt von oben herunter. Man geht also am Rand der Kuppel entlang nach oben, zur einen Seite der Blick auf die Stadt, zur anderen Seite diese Spiegelsäule. Alles behindertenfreundlich und ohne Stufen. Da, wo die Spiegelsäule aufhört, sozusagen als Dach ist eine weitere Platform, mit noch mehr Blick über die Stadt, die sich flach in alle Richtungen weit hinzieht, bis zum Horizont, das Umland ist nicht sichtbar.
In der Mitte der Platform befindet sich eine umlaufende Holzbank. Wenn man sich da drauflegt kann man oben durch die Glaskuppel den blauen Himmel und Wolken sehen.
Janz Berlin is eene Wolke, witzelt einer. Janz Berlin ist eene Baustelle, denke ich.

Baustelle im Berliner Regierungsviertel: der Reichstag hat schon eine neue Kuppel (Juni 2000)

Am Rande der Kuppel führt eine wendelförmige Rampe nach oben und eine zweite Rampe kommt von oben herunter. Man geht also am Rand der Kuppel entlang nach oben, zur einen Seite der Blick auf die Stadt, zur anderen Seite diese Spiegelsäule. Alles behindertenfreundlich und ohne Stufen. Da, wo die Spiegelsäule aufhört, sozusagen als Dach ist eine weitere Platform, mit noch mehr Blick über die Stadt, die sich flach in alle Richtungen weit hinzieht, bis zum Horizont, das Umland ist nicht sichtbar.
In der Mitte der Platform befindet sich eine umlaufende Holzbank. Wenn man sich da drauflegt kann man oben durch die Glaskuppel den blauen Himmel und Wolken sehen.
Janz Berlin is eene Wolke, witzelt einer. Janz Berlin ist eene Baustelle, denke ich.
Ich gehe wieder runter, dann mit dem Glasaufzug zurück ins Erdgeschoss und dann nach draußen. Am Rande des Tiergartens stehen Kreuze für die Opfer der Berliner Mauer. Und überall sind Baustellenschilder.
Dann plötzlich stehe ich vor einer Straßensperre: Zaun, Stacheldrahtrollen, Polizeiwagen.
Sieht das hier immer so aus, frage ich einen jungen Polizisten.
Der stellt sich zunächst mal in Position.
„Wir haben Krieg!“, sagt er. Da drüben ist die amerikanische Botschaft. Und vor ein paar Wochen war da doch diese Sache mit den Kurden: Nachdem die Türken den Öcalan gefaßt hatten, haben ein paar Kurden die israelische Botschaft gestürmt. Daraufhin haben sich wohl einige beklagt, daß die amerikanische Botschaft nicht genug geschützt ist. Und jetzt machen wir’s halt richtig. Na ja, das sieht zugegebenermaßen ein bisschen nach Bürgerkrieg aus….
Man sieht ihm an, dass ihm das Krieg-spielen so richtig Spaß zu machen scheint.
Ich gehe weiter zum Bahnhof Friedrichstraße, da fahren jetzt Straßenbahnen. Die Bahnhofshalle ist Baustelle. Ich nehme die S-Bahn durchs Baustellenland zum Bahnhof Zoo. Die Halle hier ist neu gestaltet worden, früher war sie klaustrophobisch eng, jetzt nicht mehr ganz so, obwohl hier immer noch eine Menge Betrieb ist.
Ich suche eine Telefonzelle. Die erste Zelle ist kaputt. Die nächsten Zellen sind besetzt. Daneben sind drei leere Zellen. Davor steht ein Typ, der sich ziemlich anstrengt um unauffällig und unbeteiligt zu wirken.
Ich stecke meine Telefonkarte rein und kriege sie nicht mehr raus. Irgendwer hat da Kaugummi oder Klebstoff reingesteckt. Alles klar. Die Zelle ist offensichtlich präpariert worden. Ich ziehe und zerre und fummele und dieser Typ da hat sich demonstrativ abgewendet aber steht immer noch da, keine zwei Meter von der Zelle entfernt. Was ich jetzt brauche, ist eine Zange oder sowas. Ich bin mir ziemlich sicher, daß der Typ sowas hat und überlege schon, ihn einfach anzusprechen.
Nee, Junge, mit mir nicht! Irgendwie kriege meine Karte aber trotzdem wieder rausgefummelt. Kaum bin ich um die Ecke, da sehe ich ihn, wie er zur Zelle geht und sich dann enttäuscht wieder abwendet.
Auch die anderen Kartentelefone sind präpariert oder einfach so kaputt.
Im nächsten Karstadt-Kaufhaus finde ich dann ein funktionierendes Telefon. Aus Dankbarkeit kaufe ich gleich zwei Hemden.
Ich mache weiter mit Shopping im Zentrum von West-Berlin, im Goldenen Westen: In der Tauentzienstraße werfe ich einen Blick ins Europa-Center, aber hier gibt’s wohl eher Restaurants und Edel-Läden, keine normalen Läden oder Kaufhäuser, dann gehe ich den Kurfürstendamm entlang. Naja, auch nicht viel anders als die Oxford Street. Doch, in der Mitte ist ein Grünstreifen und es fahren weniger Busse, überhaupt ist deutlich weniger los als in London, aber das liegt daran, dass hier alles breiter und weiter ist.
Es fängt an zu regnen. Ich springe in den nächsten Bus. Was, der Einzelfahrschein kostet inzwischen vier Mark zehn? Ich bin noch Zwosiebzig gewohnt. Das war vor 10 Jahren oder so. Also eine Tageskarte, bitte.
Beim nächsten Halt steige ich wieder aus, um die Ecke ist eine U-Bahn-Haltestelle. Ich nehme die nächste Bahn und steige an der Station Yorckstr. aus. Gegenüber dem Ausgang ist die Kneipe „Zum Umsteiger“, und eine Kebabbude. Ich hole mir eine Falafel und fahre weiter zum Alexanderplatz. In dem Kaufhaus, welches zu DDR-Zeiten ein Zentrum-Warenhaus war, kleide ich mich neu ein.
Dann will ich zum Hacke’schen Markt. Auf meinem alten Stadtplan heißt der noch Marx-Engels-Platz.
Mal sehn, ob sich noch wer dran erinnert: Ich frage eine junge Frau nach der nächsten S-Bahn zum Marx-Engels-Platz, aber sie merkt wohl daß ich sie verarschen will und schickt mich ganz woanders hin. Da ich es nun einmal besser weiß, folge ich ihrem Rat nicht.
Von hier aus fahre ich weiter mit der Straßenbahn Richtung Prenzlauer Berg. Ich steige an der U-Bahnstation Hohenschönhauser Allee aus, gehe einmal um den Block und dann die Kastanienallee entlang zur Oderbergstraße.
Diese Straße hat irgendwie etwas Interessantes: Das hintere Ende stieß zu DDR-Zeiten quasi direkt an die Mauer, deshalb war die Straße eine Sackgasse, lag ab vom Schuss und war so etwas wie ein Refugium für Querdenker. Da, wo die Mauer war, ist jetzt eine Straße. Und dahinter der Park, insgesamt aber eine auch jetzt noch immer irgendwie merkwürdige Innenstadtbrache. Das zur Mauer hin gelegene Ende der Straße hat immer noch gammeliges Kopfsteinpflaster mit vielen Schlaglöchern und die Häuser befinden sich in einem schrecklichen Zustand, sind baufällig und bruchbudenmäßig. Aber ein Haus ist eingerüstet, ein Anderes schon frisch renoviert mit einem schicken indischen Restaurant im Erdgeschoß, hier ist alles sauber und hell, das war vor knapp einem Jahr noch anders.
Auf derselben Straßenseite ein Stück weiter ist das Café „Entwederoder“, irgendwie ganz verschämt sich versteckend, ohne große Reklame. Noch etwas weiter die Kneipe „Zum Oderkahn“, wohl zu DDR Zeiten ein beliebter Intellektuellen- und Querdenkertreff, jetzt mit Kunstrasen aufm Bürgersteig und weißem Jägerzaun drumherum. Hier ändert sich alles ziemlich schnell.
Ich nehme die nächste U-Bahn von der Station Hohenschönhauser Allee und steige in der Station „Stadtmitte“ aus. Hier gibts eine Landschaft von mehreren Kaufhauspassagen mit Innenhöfen, tendenziell eher edle, teure Geschäfte, um Innenhöfe herum gruppiert. Und zwar mehrere Gebäudekomplexe, man geht raus, überquert eine Straße, kann gleich ins nächste wieder rein. Es riecht nach Geld, nach ziemlich viel Geld. Vor einem der edlen Läden sitzt ein Bettler und spielt auf einer Zieharmonika, er scheint Russe oder Ukrainer zu sein. Eine Verkäuferin kommt aus dem Laden heraus auf ihn zu: „Entschuldigen Sie, aber können Sie nicht demnächst mal woanders spielen?“
Ich gehe die Friedrichstraße weiter lang, irgendwo ist ein Nobel-Autohaus, wo es Rolls Royce und Bentleys gibt. Ich mache noch ein paar letzte Einkäufe, springe auf einen Bus, fahre zum Alex, hole mein Gepäck aus dem Schließfach und mache mich auf den Weg nach Westen, zunächst mit der S-Bahn durch das Regierungsviertel und am Bahnhof Zoo vorbei nach Charlottenburg, wo der Interregio nach Hannover schon bereitsteht.
Wenige Minuten hinter Spandau schlafe ich ein und wache immer wieder mal auf: Stendal, mehrere Minuten Halt, dann Wolfsburg, zur einen Seite direkt hinterm Bahnhof das VW-Werk, zur anderen Seite die Stadt, überwiegend Betonblöcke. Gegründet von den Nazis, hieß es vorm Krieg mal KDF-Stadt, hab ich gehört. So wie Salzgitter wohl mal Göringstadt geheißen haben soll. Ich schlafe wieder ein und in Gifthorn wache ich das nächste Mal auf und bleibe bis Hannover wach, da muss ich umsteigen.
Im tiefen Kellergeschoß der Bahnhofspassage spielt eine russische Band, Leute schauen über die Balkonbrüstung hinunter. Die Brüstung ist ziemlich hoch, dieses Fenster nach unten sieht eher aus wie ein enges Loch im Boden. Ein Typ schnorrt mich an. Mit Rucksack gehöre ich in die Klasse der Leute, die man duzt. Und dieser Rucksack ist mit den vielen Einkäufen richtig schwer geworden.
In der Innenstadt stehen Menschen mit Kerzen in den Händen und Transparenten, sie demonstrieren „gegen den Nato-Bombenterror“.
Diesmal ist es nicht bloß ein Häufchen Serben, die Clinton mit Hitler vergleichen und wohl beschwören dass das Kosovo immer schon serbisch war wie gestern in Malmö, sondern überwiegend Deutsche, und es geht um alle Toten des Krieges, auf welcher Seite auch immer.
Mann, jetzt haben wir endlich eine Rot-Grüne Regierung in diesem Land, und das Erste, was sie machen ist Krieg!
Am Bahnhof finde ich eine Kaffeebude. Die Frau holt das Schild rein.
Haben Sie noch auf? Wir schließen um neun. Dann haben wir ja noch zehn Minuten, also ordere ich eine Tasse Kaffee. Es gibt auch Frühstücks-Angebot mit Kaffee und Brötchen. Das gilt jetzt aber nicht mehr. Warum soll ich jetzt nicht mehr frühstücken dürfen?
Ein Typ kommt rein. Hamse Kaffee? Nen ganz großen Pott? Was kostet denn der? Zwei Mark. Ach, ich hab ja gar keine Zwei Mark. Er geht wieder, und die Frau schüttelt den Kopf.
Achtung, auf Gleis vierzehn fährt ein, der Intercity nach Köln.
Oh, das ist ja mein Zug! Ich gehe zum Gleis, steige ein und finde ein leeres Abteil und döse bis Minden… das Land ist immer noch flach mit grünen Feldern und gelben Rapsfeldern, rechter Hand erhebt sich der Höhenzug des Teutoburger Waldes mit dem Herrmansdenkmal darauf, einem Gestell aus vier Beinen mit einer Kuppe darüber. Die ist von einem grünlichen Netz umgeben und wohl eingerüstet. Halbdunkel. Autos haben schon Lichter an, aber noch hell genug um alles zu sehen. Goldene Abendstimmung sozusagen.
In Herford ziehen dunkle Regenwolken auf. In Bielefeld hätte ich Anschluss an den Zug nach Warschau mit Kurswagen nach Moskau.
In Hamm macht der Akku meines Laptops schlapp und bei Dortmund stelle ich fest, dass ich den Stromstecker-Adapter wohl in der Bibliothek von Malmö habe liegen lassen.
Dann wird’s ein bisschen chaotisch. Hinter Dortmund setze ich mich aus Versehen in ein Raucherabteil, der Zug hat Verspätung, ich bin einfach nur durcheinander, muss noch einmal umsteigen, Stationen werden jetzt nicht mehr angesagt, draußen ist es längst stockdunkel und ich erkenne keine Bahnhofsschilder mehr, ich erreiche mein Ziel kurz vor Mitternacht. Zwei Tage später bin ich wieder in London

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