In Umea werde ich wach. Es ist etwa viertel vor sieben. Habe wunderbar tief und fest geschlafen im Nachtzug, kein bisschen Hangover oder Übernächtigt. In Umea regnet es. Bleigrauer Himmel und Nieselregen. Ich reibe mir die Augen, stehe auf, trete auf den Bahnsteig hinaus: ein langer, befestigter und überdachter Bahnsteig. Ein Abfertigungsgebäude aus roten Ziegeln. Ein größerer Platz mit einer Art Denkmal drauf, halbrund, davor eine Straße. Ein Halbrund aus vielleicht drei- bis vierstöckigen Gebäuden um diesen Platz herum, in der Mitte unterbrochen durch eine Allee.
Der Zug hält ziemlich lange. Es ist kühl, die Einheimischen und die Reisenden haben Jacken an. Ich ziehe mich noch einmal in mein Schlafwagenbett zurück und schlafe eine Stunde bis zum nächsten Halt um 8 Uhr: Achthundertirgendwas Kilometer von Stockholm, einhundertsechzig Meter Seehöhe. Ich gehe durch den Zug, finde den Speisewagen, wo es nach Kaffee duftet.
Es duftet nach Kaffee. Es gibt abgepackte Sandwiches und Kaffee – ein abgepacktes Kanelbullar und ein Pappbecherkaffee kosten dreißig Kronen. Der Mann hinter dem Tresen kann auf meinen Fünfhundert-Kronen-Schein nicht herausgeben, auf meinen Zehn-Euro-Schein kriege ich dreißig Kronen raus. Auf dem Kassenzettel sehe ich, dass ein Euro wohl acht Kronen wert ist, Öre werden abgerundet.
Ich trinke meinen Kaffee zwischen übernächtigten Gesichtern.
Draußen ist die Wolkendecke längst aufgerissen, die Sonne steht hoch am blauen Himmel über endlosen Birken- und Nadelwäldern und Seen.
Nächster Halt um viertel vor neun: Bastuträsk, 965 KM von Stockholm, 264 Meter über dem Meer. Dahinter noch mehr Wälder, Seen, blauer Himmel und freundlich-weiße Wölkchen. Bin ich schon am Polarkreis?
Ich hole mir einen zweiten Kaffee, man kann sich den Becher nämlich einmal kostenlos wieder auffüllen lassen. Die Dusche im Zug ist blitzsauber und es gibt einen Stapel frischer Handtücher. Ich fühle mich fit und bin wirklich kein bisschen übernächtigt – okay, vielleicht ein ganz kleines bisschen, aber das Adrenalin hält mich wach.
Um elf Uhr muss ich umsteigen. Ich bin erstaunt: Boden ist ja eine richtige Stadt, mit Straßen, Brücken, und mehrstöckigen Wohnhäusern mit verglasten Balkonen.
Der Zug aus Stockholm muss rangieren, die Lokomotive wird umgesetzt.
Der Anschlusszug nach Narvik besteht aus nur drei Wagons. Im mittleren Wagon ist ein Bistro-Schalter. Der Zug ist gut besetzt: Familien mit Kindern, eine Frau mit Hund, ein Grüppchen von Leuten, die sich auf englisch unterhalten, teils mit amerikanischem, teils mit britischem Akzent, es können aber auch Kanadier oder Neuseeländer sein. Sie haben schwere Wanderrucksäcke dabei.
Je weiter man nach Norden kommt, desto weniger hoch werden die Bäume, zwischendurch finden sich auch Gras- und Strauchflächen. Bei Galiväre sieht man zum ersten Mal großflächige Schneereste auf einem Bergrücken.
Dahinter wird die Landschaft flach bis wellig, zwischendurch sumpfig mit Seen und Schilf am Ufer. Ich schlafe ein, werde wach und hole mir einen weiteren Kaffee. In Kiruna regnet es. Der Zug rangiert zwischen Erzwagons und Abraumhalden. Dahinter kommen Berge, richtige zackige Berge mit Felsen und schneebedeckt. Hier gibt es auch keine dichten Wälder mehr, nur Tundra, Sumpf und lichtes Birkengestrüpp, dann ein langer, langer See.
Nächster Halt Abisko Östra, kaum zu glauben, dass hier irgendwo Menschen leben. Die junge Frau zieht ihre Outdoor-Jacke an, setzt den Rucksack auf und steigt aus. Dann überquert der Zug die Grenze nach Norwegen und dahinter…. einfach nur Wow!
Tief unten taucht das Wasser des Fjordes auf, oben die Berge, unten alles grün, oben Schnee und Wasserfälle stürzen die Felsen herab.
Der Zug schraubt sich langsam hinunter und dann gibt es auch wieder Wald und eine Stunde später bin ich in Narvik.
Angekommen.
Am nördlichsten Bahnhof Europas.