Lost in Mockava: der Umsteigebahnhof im Nirgendwo zwischen Litauen und Polen

Dies ist zugegebenermaßen der abenteuerlichste Teil dieser Reise. Bahn-Enthusiasten sind begeistert – alle Anderen womöglich maximal genervt.
Von Suwalki in Polen bis Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, sind es auf Straße wie Schiene etwa hundertvierzig Kilometer, mit dem Auto müsste die Strecke in knapp zwei Stunden locker zu schaffen sein. Der Zug, der genau einmal am Tag fährt, braucht mehr als doppelt so lange. Zwar gibt es zwischen Polen und Litauen längst keine Grenzkontrollen mehr, aber die Bahnstrecken in Litauen verwenden die russische Breitspur – während die Strecken in Polen wie in den meisten Ländern Mittel- und Westeuropas in Normalspur ausgeführt sind. Man muss also umsteigen. Irgendwo im Nirgendwo.
Aber von vorn:
Bahnhof Suwalki, kurz nach zwölf Uhr mittags an einem schönen Sommertag. Der Intercity Nr. 144 „Hanca“, der früh morgens in Krakau losgefahren ist, fährt ein. Kein Grund zur Eile! Die Diesellokomotive muss hier am Kopfbahnhof vom einen Ende des Zuges ans andere Ende rangiert werden. Reisende nutzen die Gelegenheit, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Viel los ist an diesem Bahnhof nicht, abgesehen von den zwei Fernverkehrs-Zugpaaren gibt es über den Tag verteilt nur eine handvoll Regionalzüge in Richtung Białystok. Das wunderschöne Bahnhofsgebäude aus rotem Backstein steht weitgehend leer, Bahnhofsbuchhandlung, Café oder Fahrkartenschalter sucht man vergebens, noch nicht einmal einen Automaten gibt es.
Wir steigen ein.
Obwohl der Zug laut Online-Auskunft so gut wie ausverkauft ist, sind doch die meisten Wagons erstaunlich leer. Nur ein Wagon ist tatsächlich fast bis auf den letzten Platz besetzt: das sind die Reservierungen.
Es geht los. Rumpelnd und in ganz gemächlichem Tempo durch wellig-hügeliges Waldland. Nur ein einziges Mal am Tag fährt hier ein Zug in diese Richtung, und eine Weile später dann wieder zurück. Ein junger Mann hat sich in einen der fast leeren Wagons zurückgezogen und übt auf der Gitarre, bis er von einer Zugbegleiterin vertrieben wird, die den Wagon für die Rückfahrt säubern will. Nebenan fachsimpeln zwei Fahrradfahrer über die besten Routen in dieser Gegend.
Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir die polnische Grenzstation Trakiszki. Kurz dahinter läuft der Zug dann deutlich ruhiger: wir haben die Grenze überquert. Eine Viertelstunde später ist Endstation.
Mockava.
Alles Aussteigen auf den schmalen Bahnsteig im Nirgendwo.
Viele Gleise gibt es, die meisten leer, ein Stück entfernt stehen lange Reihen von Güterwagons, überwiegend Tankwagen.
Auf der anderen Seite ein kleines, strahlend weiß gestrichenes Bahnhofsgebäude mit dem Logo der litauischen Eisenbahngesellschaft LTG. Das steht für „Lietuvos Geležinkeliai“, aber weil das vielleicht selbst für Einheimische zu kompliziert ist, steht hier – und auch anderswo – meist kurz und griffig: „LTG Link“.
Das Bahnhofsgebäude ist abgeschlossen und wirkt verwaist. Immerhin gibt es Toiletten und – o Wunder! – öffentliches W-Lan. Sonst nichts. Keinen Fahrkartenautomaten, keinen zugehörigen Ort (Das zugehörige Dorf Mockava hat wohl etwa 50 Einwohner und befindet sich ein ganzes Stück entfernt) und keine Menschen – außer den Reisenden und dem Zug-Team des polnischen Zuges, die geduldig auf den litauischen Anschlusszug warten.
Der kommt dann auch irgendwann – ein moderner Dieseltriebwagen, wie sie bei uns im Nahverkehr eingesetzt werden. Und der kann natürlich niemals so viele Passagiere befördern wie der lange polnische Wagenzug, was die Sache mit der begrenzten Anzahl der Reservierungen erklärt. Hier gibt es übrigens keine reservierten Plätze mehr, jeder setzt sich, wo gerade frei ist, und dann geht es auch schon los, pünktlich 35 Minuten nach Ankunft.
Kurz darauf wird auch der polnische Zug sich wieder in Richtung Suwalki in Bewegung setzen und dann versinkt Mockava für die nächsten 23 Stunden erneut im Dornröschenschlaf.

(Auf der Rückfahrt werden wir das gleiche Abenteuere dann nochmal in umgekehrter Richtung erleben!)

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