Bonusfahrt: Lost in Priemerburg

Der Zug hat Verspätung. Zwanzig Minuten. Eine halbe Stunde. Kennen wir ja alles. Wäre kein Problem, wenn sich nicht meine Blase jetzt ziemlich dringend melden würde. Außerdem wird es inzwischen dämmerig und empfindlich kalt.
Der Zug kommt, hat ein Klo und einen Speisewagen: draußen Dämmerung und weites, flaches Land, drinenn angenehm mildes Licht von den Tischlampen, rote Kunstlederbezüge und hellbraune Tische. Schräg vor mir eine Dreiergruppe, eine junge Frau führt ein bedeutungsschweres Gespräch mit einem jungen Mann und einer älteren Frau, es riecht lecker nach Essen und ich versaufe gerade mein viertes und letztes Freigetränk.
Habe es also tatsächlich geschafft, heute alle vier Freigetränke auf den Kopf zu hauen! Und dies ist der erste Speisewagen, in welchem ich das Bier in einem richtigen Glas serviert bekomme.
Draußen heben sich die Bäume dunkel gegen den Himmel ab, der See glänzt silbern, am Ufer Ferienhäuser.
In Bützow muss ich umsteigen. Wir haben jetzt noch 20 Minuten Verspätung. Ob ich den Anschlusszug kriege?
Der Regionalzug wartet am Bahnsteig gegenüber und der ICE fährt davon. Ich schaue im Handy nach dem Weg zu meinem Hotel. Hätte mir eigentlich auch früher einfallen können. Oh, das ist ja viel weiter draußen als ich gedacht habe! 45 Minuten Fußweg?
Der Zug hält Güstrow, hält da eine ganze Weile lang, dann geht es weiter und kurz darauf steige ich in Priemerburg aus.
Draußen ist es stockdunkel. Gespenstisch.
Der Zug dieselt davon in die Nacht. Und jetzt? Über die Brücke und dann rechts, sagt die App. Aber man kommt auf der anderen Seite der Brücke nur bis zum Bahnsteig in die Gegenrichtung und nicht dahinter in die freie Landschaft, also muss ich die nördliche Seite raus, da ist eine Straße, auch eine Bushaltestelle, ansonsten nur Gewerbegebiet, Zäune und Industriehallen.
Gespenstisch. Gruselig. Aber es ist ja gar nicht so kalt und offiziell haben wir ja noch Sommer, also gehe ich vor bis zur Hauptstraße, die ist gut beleuchtet und hat einen Fahrradweg, vorbei an einem Baumarkt und einer Tankstelle zu einer Ampel, da muss ich nach links abbiegen, und dann?
Ein unbeschrankter Bahnübergang. Der Ort, der gerade erst angefangen hat, ist wieder zu Ende. Vor mir nichts als die stockdunkle Straße, unbeleuchtet, nur Autos von vorn, mit Fernlicht.
Ganz vorn irgendwo müssen Häuser sein. Eine unbeleuchtete Einfahrt: Ja, dieser hässliche Plattenbau ist Nummer 3, mein Hotel hat Nummer 7, die Richtung stimmt also. Dann ein Kiesweg, ein Campingplatz und dahinter ist auch tatsächlich mein Hotel.
Der bärtige junge Mann an der Rezeption begrüßt mich mit einem herzlichen „Moin“ und drückt mir den Zimmerschlüssel in die Hand.
Nein, zu Essen gibt’s leider nichts mehr, aber da ist eine Pizzeria, mit dem Auto nur fünf Minuten, oder Sie googeln den Lieferdienst… Alles gut! Ich begebe mich aufs Zimmer und gehe ins Bett.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert