Von Westerland nach Brüssel

Westerland, sieben Uhr morgens, vom Handy wachgedüdelt. Aufstehen, fertigmachen, Koffer packen und dann erstmal an den Strand: es ist noch dämmerig, nicht ganz richtig hell, aber längst nicht mehr dunkel. Es ist gerade Ebbe, Wellen rauschen, Möwen kreischen und über dem Meer steht ein fast voller Mond. Herrliche Morgenstimmung.
Dann zurück zum Hotel und gemütlich frühstücken, bevor ich auschecke und meinen Koffer durch die Fußgängerzone zum Bahnhof schleppe. Um die Zeit ist noch kaum jemand unterwegs.
Der Intercity nach Köln steht schon bereit.

Ganz gemütlich geht es dann los, zunächst über die Insel, ohne Halt durch Keitum und Morsum, über den Damm zum Festland, durch Marschwiesen, durch richtige Wiesen, dann ein langer Halt in Niebüll. Weiter geht’s bei strahlendem Sonnenschein durch durch Schleswig-Holstein, vorbei an Schafen und Backsteinhäusern.
Hier und dort liegt noch ein bisschen Rauhreif auf den Wiesen, wur Kanälen und Wassergräben sieht man Eis. Eis auf Wassergräben und Kanälen.
In Itzehoe wird die Lok gewechselt. Ein paar Raucher steigen aus, ich auch. Die Diesel-Lokomotive wird abgehängt, jetzt hat der Zug keinen Strom mehr und die Türen lassen sich nicht mehr öffnen. Ein selbsternannter Bahn-Experte erklärt uns ungefragt die Welt: diese Wagons haben noch alte Druckluft-Bremsen, sind mindestens 30 bis 40 Jahre alt, das Bordbistro wahrscheinlich sogar noch älter. , Die Elektrolokomotive wird angekuppelt, Türen piepsen, man kann wieder einsteigen und kurz darauf geht es auch weiter.
Ein hoher Damm führt zum Nord-Ostsee-Kanal, Blick aus Baumwipfelhöhe über die Landschaft, Rauhreif in den Bäumen, vereiste Äste, alles sehr idyllisch. Dann kommt auch schon der Hamburger Speckgürtel: Altona wird umfahren, ohne Halt durch Dammtor, dann der Hauptbahnhof.
Auch hier noch blauer Himmel und Rauhreif, aber zunehmend dunstiger. Rauhreif in schattigen Ecken an den Bahndämmen. Weiter geht’s, über die Elbbrücken mit Blick über den Hafen, dann durch die niedersächsische Tiefebene, durch Bremen und dahinter begebe ich mich in den Speisewagen, auf einen Kaffee.
Den gibt es inzwischen in drei verschiedenen Größen, kann man auch als versteckte Preiserhöhung sehen: „Mittlere Größe?“, fragt der junge Mann hinter der Theke, nein, klein, sage ich und dann berechnet man mir trotzdem die „mittlere“ Größe. Okay, man muss nicht gleich Jedem Böses unterstellen, die tun auch bloß ihren Job und die zwanzig Cent mehr tun mir nicht weh.
Schräg gegenüber in der Vierer-Sitzgruppe auf der anderen Gangseite sitzt eine junge Frau, schmal und zierlich, dunkles Haar, sie hat einen riesengroßen Instrumentenkoffer dabei, es muss sich um einen Kontrabass handeln, jedenfalls hat sie das Ding mit ihrem Schal an einer Stange festgebunden, liest konzentriert Notenblätter und hat AirPods im Ohr.
In Bohmte wird die Landschaft abwechslungsreicher: eine Hügelkette mit bewaldeten Hängen, das Wiehengebirge, der letzte Ausläufer des Teutoburger Waldes. Rauhreif auf den Bäumen und auch auf dem Boden, dazwischen alte Bauernhäuser mit Backstein zwischen den Balken, Hallenhäuser sagt man hier, es hat ein bisschen was von Winterwunderland, es ist ja wirklich noch Winter.
Den einzigen Tunnel auf der Strecke, bei Lengerich, habe ich wohl verpasst, dann sind wir auch schon in Osnabrück und es geht weiter ohne Halt in Essen durchs Ruhrgebiet, an Duisburg und Düsseldorf vorbei und kurz vor Köln wieder strahlend blauer Himmel, grüne Wiesen und Abendsonne.
Pünktlich kommen wir in Köln an. Diese Zugfahrt endet hier. Ich muss umsteigen, hole mir im wuseligen Hauptbahnhof etwas zu essen, gehe kurz nach draußen, frische Luft schnappen, dann auf einen Cappuccino und ein Mineralwasser in die Lounge. Dort kann man noch in echten Zeitungen blättern, richtige Zeitungen aus Papier, die sind mittlerweile selten geworden.
Dann muss ich auch schon wieder los. In der Halle ist eine Karnevalsveranstaltung, auf einer Bühne tanzen Funkenmariechen im Grundschulalter.

Mein ICE nach Brüssel hat Verspätung. Viele Leute auf dem Bahnsteig. Am Nachbarbahnsteig wird ein Zug nach Amsterdam bereitgestellt. Auf der Weiterfahrt nach Aachen dämmert es draußen, in Aachen ist es längst stockdunkel.
Hier bleibt der Zug erstmal stehen. Ziemlich lange. Das Licht geht aus. Drinnen so dunkel wie draußen. Und plötzlich ganz still: Stromausfall, es gibt wohl ein Problem mit der Umstellung zwischen dem deutschen und dem belgischen Stromsystem. Irgendwo schnarcht jemand, irgendwo arbeitet jemand an einem beleuchteten Laptop-Bildschirm. Nach einer halben Stunde geht das Licht wieder an, ich hole mir im Speisewagen ein Bier. Da sitzen zwei Zugbegleiter, die auch nicht wissen, was los ist. Nochmal zehn Minuten später heißt es dann, alles aussteigen, dieser Zug fährt nicht weiter, wir müssen umsteigen in den Bummelzug.
Ich nehme die Bierflasche in die Hand und mache mich auf den Weg in den hintersten Wagen zu meinem Gepäck, gegen den Strom, steige aus, dann kommt am Nebenbahnsteig ein kleiner belgischer Triebwagen angeschraddelt, alles stürmt herein und seltsamerweise braucht trotzdem niemand zu stehen.

Auf der kurzen Fahrt bis Welkenraedt trinke ich mein Bier, dann müssen wir erneut umsteigen: Menschenmassen auf diesem normalerweise um diese Zeit eher stillen Bahnsteig.
Ein langer belgischer Doppelstockzug trudelt ein, und von jetzt an geht es zügig und zuverlässig weiter, an Lüttich und Leuven vorbei und um neun Uhr abends sind wir in Brüssel.

Ich finde mein Hotel und begebe mich nochmal in die Stadt: Grand Place und Manneken Pis, ich verlaufe mich in der Unterstadt, renne einmal im Kreis und finde am Börsen-Platz noch eine offene Kebab-Bude: jetzt eine große Portion belgischer Pommes mit Majo.

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