Das Abenteuer beginnt ganz unspektakulär in Aachen, der westlichsten Großstadt Deutschlands. Am Hauptbahnhof steht ein Regionalzug bereit, der sich dann ganz gemächlich in nördliche Richtung bewegt. Ich nippe an meinem Pappbecher-Kaffee und passiere kurz darauf die völlig unspektakuläre Station Übach-Palenberg: zwei Bahnsteige und Wartehäuschen, mehr gibt’s nicht zu sehen am westlichsten Bahnhof Deutschlands. Türen piepsen und schlagen zu, weiter geht’s.
Beim nächsten Halt, in Geilenkirchen, muss ich aussteigen. Fünf Minuten Verspätung. Jetzt aber die Beine in die Hand nehmen! Ob ich meinen Bus noch erwische? Alles gut, an der Haltestelle stehen ziemlich viele Schüler und der Bus wird ziemlich voll. Es geht durch die Innenstadt, am Marktplatz vorbei, und dann über flaches Land mit Maisfeldern, Schafen, Pferden und Dörfern mit Backsteinkirchen. Das Dorf Gangelt ist stolz auf seinen historischen Ortskern mit Stadtmauer. Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums stehen viele Autos mit niederländischen Kennzeichen.
In Tüddern muss ich umsteigen und dann geht es bis Isenbruch, dem westlichsten Dorf Deutschlands mit der westlichsten Bushaltestelle des Landes. Die breiten Straßen sind menschenleer. Von der Kirche aus folge ich der Dorfstraße nach Westen, vorbei an wohlhabenden Backsteinhäusern mit großzügigen und piccobello gepflegten Vorgärten. Die Straße setzt sich in einen Feldweg fort, der hört dann bei einem Wäldchen einfach irgendwo auf, ich überquere eine Wiese und dann bin ich da.
Die Landstraße führt nach links ins Dorf zurück und nach rechts in die Niederlande. Ein Bohlenweg führt ein paar Meter an einem Bach entlang zu einer Art Balkon mit einem Holzpfahl und einer Bank, deren Sitzfläche sich schon auf der anderen Seite der Grenze befindet.
Das ist es also. Hier ist Deutschland zu Ende und die Niederlande sind gerade einmal fünf Kilometer schmal, dann kommt schon Belgien.
Ohne die Hinweistafeln wären die Grenzen kaum sichtbar und sie haben ja auch keine Bedeutung mehr. Die Schlagbäume und Kontrollhäuschen an der Straße sind abgebaut.
Ich überquere den Bach, spaziere durch ein Wäldchen und gelange nach einer guten Viertelstunde zum Bahnhof von Susteren.
Ein Regionalzug bringt mich nach Maastricht: die südlichste und älteste Stadt des Landes (schon wieder gleich zwei Superlative), mit einer alten Brücke, Altstadtgassen, knallbunten Süßigkeitsläden und einer Buchhandlung in einer alten Klosterkirche. Im ehemaligen Altarraum befindet sich ein Café. Blasphemie oder eine andere Art von Spiritualität? Immerhin sind elektronische Geräte hier unerwünscht, „Offline ist der neue Luxus!“, steht auf den Tischen.
An einer Bude bei der Brücke erstehe ich überteuerte Postkarten und stelle fest, dass ich gar keinen Stift dabei habe. Zurück am Bahnhof ist mir der Zug gerade vor der Nase weggefahren, also noch ein Kaffee in einem gemütlichen Lokal mit Ledersofas, Teppichen und Holzdielen.
Dann geht es zurück durch eine erstaunlich hügelig-abwechslungsreiche Landschaft mit Wäldchen und Feldern, dazwischen Backstein-Dörfchen und die ehemalige Bergwerkstadt Heerlen. Ist das hier so etwas wie die niederländische Schweiz?
Am letzten Stop vor der Grenze stehen Uniformierte auf dem Bahnsteig. Sie haben einen etwa sechzigjährigen Mann in Handschellen im Gewahrsam, setzen ihn in den Zug, und gehen wieder. Ganz langsam und gemächlich geht es nach Deutschland zurück, Halt in Herzogenrath und dann zügig nach Aachen. Da ist gerade ein Schnellzug aus Brüssel angekommen, eine Gruppe Polizisten steigt aus, sie führen einen afrikanisch aussehenden jungen Mann durch die Bahnhofshalle in Richtung Ausgang.
Seit ein paar Tagen finden wieder verschärft Grenzkontrollen statt, ich erinnere mich an die Nachrichten. So sieht das also aus.
- siehe auch: Expedition an den Nordpol