In dem angenehm altmodischen Bahnhof von Sinaia bin ich in den Zug gestiegen, der jetzt gemächlich durch das enge, bewaldete Karpatental schaukelt. Ich setze mich in den letzten, fast leeren Wagon, obwohl sich mein reservierter Sitz im brechend vollen ersten Wagon befindet. Die Berge werden flacher, sind jetzt nur noch bewaldete Hügel, und dann sind sie ganz weg. Der Zug nimmt Fahrt auf und mit ganz ordentlicher Geschwindigkeit geht es über die walachische Ebene.
Plötzlich trötet mein Handy. Nicht nur Meines: Alle Anwesenden erhalten per Cell Broadcast eine Warnmeldung der rumänischen Regierung: extreme Hitzewarnung, Aufenthalt im Freien bitte vermeiden und das Reisen auch! In Bukarest soll es 36 Grad haben.
Wir nähern uns der Hauptstadt durch die üblichen Vorortlandschaften, Bahnhofslandschaften, Rangierbahnhöfe, abgestellte Lokomotiven und Wagons… dann heißt es Aussteigen in Bukarest-Nord. Hier ist es tatsächlich sommerlich heiß.
Ich habe eine halbe Stunde zum Umsteigen, schaue mich um in der langgestreckten Bahnhofshalle, werfe einen Blick auf den Vorplatz, gepflegte Cafés und eine große Schalterhalle mit langen Schlangen vor den Fahrkartenschaltern. In der Zwischenebene zur Metro liegen mehrere Obdachlose.
Mein Zug nach Constanța steht schon bereit, besteht nur aus drei Wagons, ist brechend voll und die Klimaanlage scheint nicht richtig zu funktionieren. Innerhalb kürzester Zeit bin ich nassgeschwitzt. Alle schwitzen.
Mit ganz ordentlichem Tempo geht es über das flache Land, ein Stück weit parallel zur Autobahn, dann überqueren wir die Donau, haben die Walachei verlassen und befinden uns in der Dobrudscha. Diese Region gehörte jahrhundertelang zum Osmanischen Reich und auch heute noch gibt es hier eine starke muslimische Minderheit. Fun Fact aus Wikipedia: die Dobrudscha – die Region zwischen linkem Donauufer und Schwarzem Meer – gehört geographisch zum Balkan, der Rest von Rumänien hingegen nicht.
Pünktlich kommen wir in Constanța an, ich finde mein Hotel – erstmal durchatmen, duschen, nochmal duschen und dann mal los in die Stadt.
Und dann sehe ich zum ersten Mal das Meer: blauer Himmel, Hafenkräne, Lagerhäuser, große Schiffe und links davon auf einer Landzunge das, was ich für die Altstadt halte mit der goldenen Kuppel einer orthodoxen Kirche und gleich daneben einer Moschee.
Mit dem Bus fahre ich bis zur Uferpromenade, die zum breiten Sandstrand hin steil abfällt. Treppen führen durch eine Grünanlage hinunter. Unten sind Strandlokale, Sonnenschirme und Liegen. Oben entdecke ich eine griechische Kirche und gleich dahinter versteckt eine armenische Kirche. Diese Stadt ist bekannt für ihr Vielvölkergemisch: einst bildeten Griechen und Tartaren die Bevölkerungsmehrheit, hinzu kamen zahlreiche Weitere Minderheiten, darunter nur ein paar tausend Rumänen.
Steile Gassen führen in Richtung Meer: schöne alte Villen neben bröckelndem Beton. Auf dem zentralen Platz steht ein prächtiges Jugendstilgebäude – das ehemalige Rathaus, jetzt archäologisches Museum – und davor ein Denkmal: der römische Dichter Ovid, der hier im Exil seine letzten Lebensjahre verbrachte. Und gleich um die Ecke befindet sich die Moschee.
Ich gehe weiter und gelange hinunter aufs Ufer auf die schöne breite Promenade, die zum strahlend weiß gestrichenem, frisch restaurierten Kasino führt.
An der Marina vorbei gehe ich zurück zum Ovid-Platz, finde ein gemütlich-zwangloses Lokal. Am Himmel ziehen Wolken auf, dramatische Wolken, es beginnt zu tröpfeln und dann richtig zu regnen. Alles flüchtet hektisch unter die Schirme, ich suche Asyl am Nebentisch und komme mit einem Einheimischen ins Gespräch, aber dann hört der Regen ebenso rasch wieder auf.
Es ist dunkel geworden und immer noch warm.
