Hamburg Hauptbahnhof, zehn Uhr vormittags: Ich stehe pünktlich am Bahnsteig, der Zug nicht. 45 Minuten Verspätung hat der IC aus Berlin, so heißt es, Warten lohnt sich nicht, lieber den Regionalzug nehmen, der steht schon bereit, auf Bahnsteig 7, ganz vorn außerhalb der Halle.
Los geht’s, aus der Stadt heraus, durch den Hamburger Speckgürtel, aus dem Obergeschoss des Doppelstockwagons schaue ich müde auf die flache Landschaft: kahle Bäume, Backsteinhäuser, der Himmel bedeckt, aber kein Regen, die Felder braun, die Wiesen doch schon grün. Nach zwanzig Minuten, in Elmshorn, heißt es umsteigen.
Man kann am selben Bahnsteig stehenbleiben. Leichter Nieselregen, auch die eine andere Schneeflocke lässt sich blicken. Eine knubbelige Dame unbestimmten Alters unterhält sich mit einem jungen Mann, Beide wären auch mit dem IC gefahren, aber der hat inzwischen wohl 70 Minuten Verspätung, oder sogar noch mehr, keiner weiß, was los ist. Nach einer Viertelstunde kommt ein Regionalzug, der bis Westerland durchfährt: ein richtiger lokbespannter Zug, gezogen von einer blauweißen Diesellokomotive. Innen sieht es fast aus wie im IC-Großraumwagen, es gibt auch Steckdosen, nur kein W-Lan.
Ganz gemächlich geht’s durch Schleswig Holstein, vorbei an kahlen Birkenwäldern, grüne Wiesen, braune Brachlandschaft, darüber ein grauer Himmel, neblig und nieselig-trüb. Hin und wieder gefrorene Pfützen, die größeren Teiche und Kanäle sind aber frei. Hier und da sind ein paar Schneeflocken liegen geblieben.
Dann kommt die lange, hohe Anfahrt auf einen sehr hohen Bahndamm, der dann auf eine Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal führt, ein gerades breites Gewässer, auf dem ein Hochseefrachter entlangtuckert, tief unten Kiefern- und Birkenwälder, Felder, weiter flaches Land und immer noch Nieselregen.
Ich schließe die Augen und nicke ein, Friedrichstadt passiere ich im Halbschlaf, irgendwie kommen wir auch an Husum vorbei, und gegen Mittag erreichen wir Niebüll, eine knappe halbe Stunde Aufenthalt.
Plötzlich ist der Himmel blau, sogar die Sonne lässt sich blicken.
Alte Formsignale am Bahnhof, ein Wasserturm, blauer Himmel, die Luft ist angenehm frisch, die Bäume sind kahl wie überall. Ein kurzer Dieseltriebwagen tuckert vorbei nach Esbjerg in Dänemark, dann ein Autoverladezug, dann noch einer in die andere Richtung.
Ich bin gespannt auf Sylt. Was erwartet mich dort?
Ehrlich gesagt, weiß ich so gut wie gar nichts über diese Insel, nur die üblichen Vorurteile, dass dort alles teuer ist, und hin und wieder schlagen dort Gruppen von Punks auf, die per Billigticket anreisen und die Schickis ärgern sich darüber, was ja auch irgendwie auch Sinn der Sache ist.
Letztens hat dort ein Minister geheiratet, alle wollen da hin und ja, auch ich war schonmal da, vor Ewigkeiten, und habe auf der Insel so gut wie kein Geld ausgegeben.
Der Zugang zum Strand war zwar auch damals schon kostenpflichtig, aber über quasi-legale Trampelpfade durch die Dünen kam man auch gratis hin. Nordsee halt, kann man mögen, oder auch nicht, gibt’s auch anderswo, vielleicht sogar schöner, aber Sylt hat nun einmal den unbestreitbaren Vorteil, dass man direkt mit der Bahn hinkommt.
Der Zug tuckert weiter, ganz gemächlich über den Hindenburgdamm, links und rechts ist Meer, demnach haben wir also gerade Flut.
Dann erreichen wir die Insel, noch ein paar Minuten geht’s durch grüne Wiesenlandschaft, dann Ankunft in Westerland, Endstation, nördlichster Bahnhof Deutschlands.
Lebhaftes Gewusel am Bahnsteig, durch die Fußgängerzone pfeift der Wind. Einchecken im Hotel: knarzende Holzdielen, vor mir ein gutgelaunter Künstler-Typ. Ich bringe das Gepäck aufs Zimmer und gehe dann gleich wieder raus, deshalb bin ich ja schließlich hier.
Eigentlich war Sturm angesagt und Regen, aber der Himmel ist blau, keine Wolke zu sehen, nur ein bisschen Wind, die Spaziergänger verlieren sich in der Weite, die Sonne steht schon tief über dem Meer, Möwen kreischen, Wellen rauschen… ich bin angekommen.